In diesem Abschnitt werden medienspezifische Aspekte behandelt, die für die Typologisierung von WWW-Wörterbüchern zu berücksichtigen sind: In 4.1 geht es um die Frage, für welche Publikationsform - Print-Wörterbuch, elektronisches Offline- oder Online-Wörterbuch - das Wörterbuch ursprünglich konzipiert war. Abschnitt 4.2 behandelt den Aspekt der Abgeschlossenheit von Wörterbüchern und die neuartigen Formen gemeinschaftlicher Wörterbucharbeit, die durch die Kopplung von Informations- und Kommunikationsdiensten im Internet möglich ist. In 4.3, 4.4 und 4.5 wird untersucht, ob und wie die Möglichkeiten des Publikationsmediums WWW - Hypertext, Multimedia und intelligente Zugriffsangebote - genutzt werden.
Bei weitem nicht alle im WWW angebotenen Wörterbücher waren ursprünglich für eine Publikation im Internet gedacht. Es finden sich elektronische Formen von Print-Wörterbüchern in unterschiedlichen Formen der Aufbereitung [30] ebenso wie lexikalische Datenbanken, die ursprünglich für die maschinelle Sprachverarbeitung aufgebaut wurden.
Wörterbücher, die auf der Grundlage gedruckter Publikationen entstanden sind, sind beispielsweise das HYPERTEXT WEBSTER GATEWAY (14), das RUSSIAN-ENGLISH, ENGLISH-RUSSIAN DICTIONARY AND THESAURUS OF COMPUTER TERMS (32) oder der im Rahmen des ARTFL-Projekts aufbereitete THRESOR DE LA LANGUE FRANÇAISE (35), dem die 1606 erschienene, von J. Nicot erarbeitete Fassung zugrundeliegt und das Wörterbuch der Schwedischen Akademie (26). Beispiele für originäre WWW-Wörterbücher sind SWABIAN INTO ENGLISH (42), THE MAYAN EPIGRAPHIC DATABASE PROJECT (24) oder das multimediale Lernerwörterbuch ©HYPERSURFING ENGLISH-FRENCH DICTIONARY (29).
Die Form, in der das Wörterbuch ursprünglich publiziert wurde, beeinflußt auch die Gestaltung der WWW-Publikation: Originäre Print-Wörterbücher nutzen die Möglichkeiten von Hypertextualität und Multimedialität nicht im selben Maße wie originäre WWW-Wörterbücher. Umgekehrt kann ein WWW-Angebot wie ©HYPERSURFING ENGLISH-FRENCH DICTIONARY (29), das ausgiebig von den Möglichkeiten von Hypermedia Gebrauch macht, nur schwerlich in gedruckter Form herausgegeben werden.
Originäre Print-Wörterbücher sind insofern abgeschlossen, als sie zu einem bestimmten Zeitpunkt als Buch in einer bestimmten Auflagenstärke vervielfältigt und vertrieben werden. Bis zur nächsten Auflage bleibt dann der Inhalt des Wörterbuches konstant.[31] Dasselbe gilt für elektronische Offline-Wörterbücher, die auf Diskette oder CD-ROM vertrieben werden. Wie in 2.2 und 2.3 bereits erläutert, können die im WWW publizierten Online-Wörterbücher prinzipiell jederzeit verändert werden. Abgeschlossenheit kann sich bei diesen Wörterbüchern also generell nur auf die Intention der jeweiligen Anbieter beziehen, die sich aus den Metatexten zum Wörterbuch entnehmen läßt.
Wir unterscheiden zunächst zwei Grundtypen:
A) Abgeschlossene Wörterbücher,
B) Wörterbücher im Aufbau.
In den Metatexten von Typ A fehlen die für Typ B charakteristischen Ermunterungen zu Mitarbeit, Erweiterung, Veränderung und Kommentierung. Zum Typ A gehören originäre Print-Wörterbücher, die meist in der ursprünglichen Form belassen und zur Nutzung im Internet bereitgestellt werden oder nicht weiter entwickelte Datensammlungen aus Projekten der maschinellen Sprachverarbeitung (z.B. EDR. JAPAN ELECTRONIC DICTIONARY RESEARCH INSTITUTE, LTD. (54)). Zu Typ A zählen auch Ausschnitte von Wörterbüchern, mit denen für vollständige Print- oder Offline-Wörterbücher geworben werden soll, wie beim MULTILINGUAL DICTIONARY OF THE HORSE (75). Abgeschlossenheit in unserem Sinne impliziert also nicht unbedingt Vollständigkeit, sondern stellt darauf ab, daß der lexikographische Arbeitsprozeß bereits abgeschlossen ist und das lexikographische Endprodukt nicht weiter zur Diskussion steht.
Die Mehrzahl der im WWW publizierten Wörterbücher sind vom Typ B: Der lexikographische Arbeitsprozeß ist noch im Gange und soll durch die Informations- und Kommunikationsdienste des Internet unterstützt werden. Die Metatexte weisen auf den vorläufigen Status dieser Wörterbücher hin und rufen interessierte Internet-Nutzer zur Beteiligung am lexikographischen Prozeß auf. Wörterbücher diesen Typs können weiter danach unterteilt werden, welche Art von Beiträgen erbeten werden:
B 1: Fehlerbehebung: Eine Einzelperson oder eine Projektgruppe baut ein Wörterbuch auf und fordert in den Metatexten die Benutzer explizit zur Kommentierung und zur Anzeige von inhaltlichen oder orthographischen Fehlern auf. Beispiele sind das MODERN STANDARD ARABIC (18), LOGOS (16), THE ETYMOLOGY OF FIRST NAMES (49). Als typischen Aufruf zu dieser Art von Beteiligung zitieren wir aus dem Wörterbuch der Rechtssprache der World Wide Legal Information Association THE WWLIA LEGAL DICTIONARY (57): We welcome your comments, words of wisdom or encouragement, constructive criticism, advice, suggestions or just your kindness in pointing out a grammar or spelling mistake which you have found. Click here to send an e-mail to the Webmaster of the World Wide Lega Information Association. .
B 2: Schließung von Lemmalücken: Eine Einzelperson oder Projektgruppe baut ein Wörterbuch auf und fordert die Nutzer explizit dazu auf, sie über fehlende Einträge zu benachrichtigen bzw. sich durch eigene Vorschläge an der Schließung dieser Lücken zu beteiligen. Diese Art der Beteiligung ist typisch für Wörterbücher, die als Online-Nachschlagewerke konzipiert sind, wie dem deutsch-englischen Wörterbuch LEO ENGLISH/GERMAN DICTIONARY (59) und dem WORLDWIDEWEB ACRONYM AND ABBREVIATION SERVER (71). Die Rubrik missing words findet sich aber auch in lesebuchorientierten Wörterbüchern wie dem schwäbisch-englischen Wörterbuch (vgl. Anhang A 2.1), wobei in diesem Fall der Aufruf zur Beteiligung eher den Zweck verfolgen dürfte, den Spaß an diesem Wörterbuch mit anderen zu teilen und darüber mit dem Autor und den anderen Lesern zu kommunizieren. Die Diskussionsbeiträge zu diesem Wörterbuch (vgl. die kleine anonymisierte Auswahl im Anhang A 2.1) zeigen, daß dies bei den schwäbischen Muttersprachlern gut gelingt, während den Nicht-Muttersprachlern nicht alle Subtilitäten des Werkes zugänglich sind.
B 3: Beiträge von Spezialisten zu einem bestimmten Wörterbuchgegenstand: Eine Einzelperson oder Projektgruppe baut ein Wörterbuch mit relativ spezialisiertem Wörterbuchgegenstand auf und bittet in den Metatexten explizit um Mitwirkung anderer Spezialisten. Dieses Vorgehen findet sich in innovativen akademischen Wörterbuchprojekten wie dem an der Universität Virginia durchgeführten THE MAYAN EPIGRAPHIC DATABASE PROJECT (24) (MED) oder dem an der Universität Yale angesiedelten Kamusi Projekt (45), das auf den kollaborativen Aufbau eines Suaheli-Wörterbuchs abzielt. Der Aufruf zur Mitarbeit in diesem Projekt lautet so: The Internet Living Swahili Dictionary is a collaborative work by people all over the world. Together we are working to establish new dictionaries of the Swahili language, both within Swahili and between Swahili and English. We are preparing print-based dictionaries and multi-media computer applications, all accessible to you through this home page. We welcome you, whether you are a beginner or a fluent Swahili speaker.. Die Initiatoren dieser kollaborativen Wörterbuchprojekte versprechen sich von der Nutzung des Internet Qualitätssteigerung und -sicherung, wie das folgende Zitat aus dem Metatext des MED-Projekts zeigt: One of the advantages the Internet offers over other media of publication is the possibility of collectively authored and edited texts. Such texts are useful for scholary research precisely because of they have been standardized by a community of scholars, and therefore they bear the pedigree of consensus (24). Eine solche Unternehmung wäre mit herkömmlichen Methoden der Wörterbucherstellung nicht möglich.
B 4: Beliebige Beiträge zu einem vorgegebenen Wörterbuchgegenstand: Eine Einzelperson oder Projektgruppe ruft die übrigen Internet-Nutzer dazu auf, gemeinsam ein Wörterbuch zu einem vorgegebenen Wörterbuchgegenstand aufzubauen. Beispiele hierfür sind das von kulturCHOCK (einer Zeitschrift für Schweden im englischsprachigen Ausland) initiierte Ulkwörterbuch SWEDISH IDIOMS IN PAINFULLY LITERAL TRANSLATION (73) (Anhang A 2.2), das DORKTIONARY (58) (Anhang A 2.6) von Michael P. Gaudet et al. oder THE ALTERNATIVE DICTIONARIES. INTERNATIONAL SLANG - AN INTERNET COLLABORATIVE PROJECT (64), dessen Aufruf zur Mitarbeit wir stellvertretend zitieren möchten: These pages contain words and expressions you most likely won't find in a normal dictionary. This is an experimental internet collaborative project, which means that all entries are made by internet users. Dozens of languages, more than 3.000 words and expressions in all. Any language can be added if requested. You may input new words yourself!. Im Gegensatz zu B 3 scheint hier ein Abschluß weder geplant noch gewünscht zu sein. Wie die im Anhang in Auszügen aufgeführte Liste zeigt, ist die Anzahl der Sprachen in den ALTERNATIVE DICTIONARIES beträchtlich (Anhang A 2.3). Die namentliche Nennung der Beiträger in der einen oder anderen Form gehört dabei zur Netiquette, dem Knigge für Internet-Nutzer und -Autoren. Wer sich die Auswahl von Beiträgen zu diesen Wörterbüchern anschaut - exemplarisch haben wir eine Auswahl aus dem Ulkwörterbuch SWEDISH IDIOMS (73) in den Anhang gestellt (Anhang A 2.2) - gewinnt rasch den Eindruck, daß hier der Weg zum Ziel geworden ist, d. h., daß der Spaß am gemeinsamen Aufbau des Wörterbuchs, am gegenseitigen Austausch und am Kommunizieren über Sprache im Vordergrund steht.
Die in B 1 gewünschte Form der Beteiligung entspricht bei gedruckten Wörterbüchern in ungefähr der Beifügung eines Kommentarzettels mit Bitte um Rücksendung an den Verlag oder den Autor, der die Korrekturen und Anregungen allerdings erst bei der nächsten Auflage berücksichtigen könnte. Die in B 2 - B 4 realisierten Formen der Beteiligung sind ohne die Nutzung der Kommunikations- und Informationsdienste des Internet nicht realisierbar: es ergeben sich völlig neue Formen der Wörterbucharbeit. Ob die Resultate dieser kollaborativ erstellten Wörterbücher qualitativ überzeugen und ob die hinter B 3 stehenden Hoffnungen auf Qualitätssteigerung durch weltweiten Austausch berechtigt sind, bleibt abzuwarten.
In 2.2 wurde das WWW als dezentral organisierter offener Hypertext charakterisiert. Als Hypertext bezeichnet man ein Netzwerk von Dokumenten, die durch Hyperlinks (computerisierte Verweisungen) miteinander verbunden sind. Wie in 2.2 erläutert, sind solche Hyperlinks in WWW-Dokumenten als sog. Aktionswörter oder als Graphiken repräsentiert. Durch die Aktivierung eines Hyperlinks wird entweder zu einem anderen Teil desselben Dokuments oder zu einem neuen Dokument gesprungen. Die Attraktivität des WWW besteht nun genau darin, daß ein Autor eines WWW-Dokuments Hyperlinks zu beliebigen Dokumenten anlegen kann, die auf beliebigen Rechnern des weltumspannenden WWW gespeichert sind.
Unabhängig von seiner Umsetzung im WWW ist Hypertext ein interessantes Strukturierungsprinzip für elektronische Wörterbücher: Die vielfältigen Verweisungen zwischen den Bauteilen von Wörterbüchern [32] können durch Hyperlinks nachgebildet werden. Dies ermöglicht eine komfortable Verweisverfolgung, die im Gegensatz zum gedruckten Wörterbuch nicht mit erneutem Blättern und Suchen verbunden ist.
Abbildung 3: Eintrag zum Terminus Nominalization
im LEXICON OF LINGUISTICS
Die im WWW publizierten Wörterbücher machen von dieser Möglichkeit unterschiedlichen
Gebrauch. Grob lassen sich drei Typen unterscheiden:
A) Hypertextualisierung mit Informationsaufbereitung,
B) Hypertextualisierung ohne Informationsaufbereitung,
C) keine Hypertextualisierung.
Beispiele von Wörterbüchern des Typs A sind das schwäbisch-englische Wörterbuch (42), das umfangreiche SVENSKA AKADEMIENS ORDBOK (26) und das LEXICON OF LINGUISTICS (76). Der Bildschirmschnappschuß in Abbildung 3 zeigt den Eintrag zum Terminus Nominalization dieses Terminologiewörterbuchs, zu dem man entweder durch die Aktivierung des Anfangsbuchstabens N in der links angezeigten Initialenliste mit nachfolgendem Durchblättern oder durch gezielte Stichwortsuche in einem Suchformular gelangen kann (siehe 4.5). In der angezeigten Definition finden sich Termini wie argument structure oder Lexicalist hypothesis, die durch Unterstreichung als Aktionswort markiert sind. Solche Aktionswörter repräsentieren Hyperlinks, die zur Definition des jeweiligen Terminus führen.[33] Auf diese Weise wird das Hin- und Herspringen zwischen Definitionen verschiedener Termini erheblich erleichtert.
Abbildung 4: Wörterbuchartikel zum Lemma web im HYPERTEXT WEBSTER INTERFACE
Hyperlinks in Wörterbuchartikeln sind auch für Wörterbücher von Typ B charakteristisch, zu dem beispielsweise die Hypertextversion des WEBSTERS REVISED UNABRIDGED DICTIONARY (14) gehört. Wie die Abbildung 4 zeigt, sind fast alle Wörter des Wörterbuchartikels zum Lemma web als Aktionswörter gekennzeichnet, d. h. auch das zur Metasprache des Wörterbuchs gehörige often attrib. Eine Aktivierung eines solchen Aktionswortes führt nun nicht etwa zum Verzeichnis der metasprachlichen Ausdrücke, sondern startet eine Suche nach Wörterbucheinträgen mit der Wortform attrib bzw. often. Die Hypertextualisierung wurde vermutlich maschinell nach dem Prinzip vorgenommen Was zwischen zwei Leerzeichen steht, wird zum Aktionswort, ergänzt um eine Liste von metasprachlichen Ausdrücken wie n, ME, OE und eine Liste häufig vorkommender Funktionswörter wie the, a etc. Die Aktionswörter sind verknüpft mit einer Suchanweisung, etwa Suche alle Wörterbucheinträge, in denen die als Aktionswort angegebene Buchstabenfolge enthalten ist. Mehrwortgefüge, wie die Nominalkomposita rotary printing press und water bird oder das phrasal verb provide with, werden bei dieser Art von Hypertextualisierung auseinandergerissen; die Hyperlinks verweisen auf die einzelnen Komponenten, nicht auf den Eintrag des Mehrwortgefüges. Auch die Aktionswörter undergoing oder connecting führen nicht zur entsprechenden Grundform, sondern zu einer Fehlermeldung, da die flektierten Formen nicht mit der Grundform verknüpft sind. Bei stark polysemen Lemmata wie provide oder cover wird der ganze Wörterbuchartikel aufgerufen und nicht nur die im Aktionswort aktualisierte Bedeutungsstelle. Wir möchten Wörterbücher mit dieser Art der Hypertextualisierung deshalb durch das Merkmal ohne Informationsaufbereitung von den Wörterbüchern des Typs A absetzen, deren Hyperlinks vermutlich manuell-intellektuell auf der Basis von Überlegungen zur Semantik und zur Kohärenzbildung angelegt wurden. Allerdings wird auch schon durch eine Hypertextualisierung ohne Informationsaufbereitung ein erheblicher Mehrwert gegenüber gedruckten Wörterbüchern oder Wörterbüchern vom Typ C geschaffen.[34]
Zum Typ C zählt z.B. das ENGLISH-ROMANIAN DICTIONARY OF PROVERBS (23). In ihnen dienen Hyperlinks lediglich als Zugriffsangebote (vgl. 4.5) oder sie fehlen gänzlich, wie beim RASTA / PATOIS DICTIONARY (74) oder bei der [MEDIEVAL LATIN WORDLIST] (25). Zum Typ C gehören viele Wörterbücher, die primär als Nachschlagewerke konzipiert sind, wie das LEO ENGLISH/GERMAN DICTIONARY (59), das DICTIONARY [ENGLISH <-> GERMAN] (56) aus Dresden oder der ACRONYM EXPANDER (19). Diese Wörterbücher arbeiten mit Suchformularen und sind aus ihrer Funktionsbestimmung als Nachschlagewerk dem Matching-Paradigma des Information-Retrieval verpflichtet (vgl. Zugriffsangebote in 4.5) und nicht dem für Hypertext typischen Browsing-Paradigma des assoziativ geleiteten Herumstöberns im lexikalischen Informationsraum. Wörterbücher wie das LEXICON OF LINGUISTICS (76) und auch das oben genannte HYPERTEXT WEBSTER INTERFACE (14) zeigen allerdings, daß die beiden Paradigmen miteinander kombinierbar sind: In beiden Wörterbüchern wird zunächst ein Suchwort nach dem Pattern-Matching-Paradigma aufgefunden; im Wörterbuchartikel des Suchworts können dann - je nach Informationsbedarf - Hyperlinks aktiviert oder eine neue Suchform eingegeben werden.
Dokumente im WWW können nicht nur Text, sondern auch Bilder, Ton und Video enthalten. Aus diesem Grund wird das WWW häufig auch als Hypermedia-System (Hypertext + Multimedia) bezeichnet. Die im WWW publizierten Wörterbücher machen von dieser Möglichkeit in unterschiedlichem Ausmaß Gebrauch. Wir unterschieden folgende Typen:
A) nur Text,
B) Text und Bild,
C) Text und Ton,
D) Text, Bild und Ton.
Erstaunlich ist, daß die wenigsten von uns untersuchten Wörterbücher die Multimediafähigkeit des WWW nutzen: Die Mehrzahl zählt zum Typ A; sie beschreibt ihren Wörterbuchgegenstand rein textuell. Bilder, Graphiken und Fotos dienen allenfalls zur Auflockerung und Verschönerung der allgemeinen Präsentation. Bei Wörterbüchern vom Typ B handelt es sich vorwiegend um Spezialwörterbücher, deren Wörterbuchgegenstand den Einsatz von Bildmaterial nahelegt: Im oben erwähnten MED-Projekt der Universität Virginia (24) wird beispielsweise ein Katalog mit Glyphen der Maya-Schriftkultur aufgebaut (vgl. Anhang A 2.7). Ein Mausklick auf ein Aktionswort in einer Themenliste führt zu Abbildungen der Glyphen. Auch das Wörterbuch zur American Sign Language: A BASIC DICTIONARY OF ASL TERMS (20) enthält Graphiken, mit denen die textuelle Beschreibung der jeweiligen Handhaltung und -bewegung verdeutlicht wird (vgl. Anhang A 2.8).
Die Verbindung von Text und Ton (Typ C) ist immer noch die Ausnahme, obwohl gerade bei exotischen Sprachen Angaben zur Aussprache äußerst hilfreich und wünschenswert wären. Lobenswertes Vorbild ist auch hier das Dialektwörterbuch SWABIAN INTO ENGLISH (42): Folgt auf die Lemmaangabe ein kleines Mikrophon, so kann die Aussprache dieses Lemmas per Mausklick abgespielt werden. Ein Nichtmuttersprachler kann daran die richtige Aussprache schwäbischen Wortguts wie nandrnoch oder Breschdlingsxälzhäfele nachzuahmen versuchen. Weitere Beispiele von Wörterbüchern mit Toneinlagen sind: HOW TO SWEAR IN GERMAN! (15) und das POTAWATOMI DICTIONARY (68).
Abbildung 5: Sensitives Foto als Zugriffsangebot im ©HYPERSURFING ENGLISH-FRENCH DICTIONARY
Bild, Text und Ton nutzt das bereits mehrfach erwähnte und in verschiedenster Hinsicht vorbildliche Wörterbuch ©HYPERSURFING ENGLISH-FRENCH DICTIONARY (29), das damit als einziges der untersuchten Wörterbücher zum Typ D gehört. Bilder werden als Zugriffsangebote genutzt (siehe 4.5), sind aber auch Ausgangspunkt für Wortschatzübungen: Das im Bildschirmschnappschuß in Abbildung 5 abgebildete Foto ist als sensitive Graphik (Clickable Maps oder Image Maps genannt) konzipiert, d. h., Teile des Bildes repräsentieren Hyperlinks zu lexikalischer Information des Lernerwörterbuchs. Wird beispielsweise der auf dem Foto abgebildete Vorhang mit der Maus aktiviert, so erhält man die in Abbildung 7 angezeigten Informationen: Hinter dem Ikon mit dem Frauenmund verbergen sich Ausspracheangaben, die per Mausklick abgespielt werden können.
Abbildung 6: Ergebnis der Suche nach curtain im ©HYPERSURFING ENGLISH-FRENCH DICTIONARY
Am Beispiel dieses Wörterbuchs wird jedoch deutlich, daß die vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten durch die Übertragungskapazitäten des Internet begrenzt sind. Mit der Bekanntheit dieses innovativen Hypermedia-Wörterbuchs steigen auch die Wartezeiten. Wer wirklich mit ©HYPERSURFING Sprachen lernen will, braucht einen schnellen Rechner und viel Geduld. Die Zurückhaltung anderer Wörterbuchgestalter bei multimedialen Zusätzen ist sicherlich auch ein Stückweit von der löblichen Absicht getragen, die zunehmende Verkehrsdichte im Internet nicht durch weitere umfangreiche Graphik- Audio-, und Videodateien zu erhöhen.
Im Vergleich mit Zugriffsstrukturen in Print-Wörterbüchern können die Zugriffsangebote elektronischer Wörterbücher die Informationssuche im Wörterbuch erheblich vereinfachen und beschleunigen. Elektronische Wörterbücher können mehrere gleichwertige Zugriffsangebote enthalten, zwischen denen ein Benutzer je nach Benutzungssituation und aktuellem Informationsbedarf wählen kann. Wir unterscheiden zwischen hypertextorientierten Zugriffsangeboten, die die Informationssuche durch Hyperlinks unterstützen und retrievalorientierten Zugriffsangeboten, die nach Wortformen suchen und die Treffer anzeigen. Entsprechend können folgende Typen von WWW-Wörterbüchern unterschieden werden:
A) Wörterbücher mit blätterndem Zugriff,
B) Wörterbücher mit hypertextorientiertem Zugriff,
C) Wörterbücher mit retrievalorientiertem Zugriff,
D) Wörterbücher mit hypertextorientiertem und mit
retrievalorientiertem Zugriff.
Wörterbücher vom Typ A kann man sich als elektronisches Äquivalente zu einer Papyrusrolle [35] vorstellen, die mit Hilfe des sog. Scrollbar (vgl. 2.2) von Anfang zum Ende hin durchblättert werden können, wobei die Zugriffsstrukturen des gedruckten Pendants, z.B. das Zugriffsalphabet, genutzt werden.[36] Zum Typ A gehören viele kleinere und relativ spezifische Datensammlungen, wie z.B. die [MEDIEVAL LATIN WORDLIST] (25) und USEFUL QUECHUA WORDS (28), die in den Wörterbuchsammlungen häufig als Wortlisten (wordlist) bezeichnet sind.
Zum Typ B gehören all die WWW-Wörterbücher, die den Zugriff auf die Wörterbucheinträge über Hyperlinks organisieren. In der einfachen Form wird dabei eine Wortliste vom Typ A um Aktionswörter ergänzt, die zum Anfang einer Alphabetstrecke führen. Diese sehr häufig angebotene Zugriffsart wurde in 2.2 am Beispiel des SWABIAN INTO ENGLISH-Wörterbuchs (42) beschrieben. Bei nicht umfangreichen Wörterbüchern kann durch weiteres Blättern das gesuchte Wort meist schnell gefunden werden. Bei umfangreichen Wörterbüchern führt der Sprung zur Lemmaliste mit dem entsprechenden Initial, wobei dann jedes Lemma als Aktionswort fungiert, mit dem der Wörterbucheintrag aufgerufen werden kann. Ein Beispiel hierfür stellt das BASIC DICTIONARY OF ASL TERMS (20) dar.
Abbildung 7: Das sog. Topic Tree Tutorial im ©HYPERSURFING ENGLISH-FRENCH DICTIONARY
Da auch Graphiken Hyperlinks repräsentieren, können sie ebenfalls als Zugriffsangebote fungieren. Von dieser Möglichkeit macht - wie bereits in 4.4 beschrieben - beispielsweise das MED-Projekt bei seinem Katalog der Maya-Glyphen Gebrauch (vgl. Anhang A 2.7). Besonders interessant sind Zugriffsstrukturen, die über die bereits erwähnten sensitiven Graphiken (vgl. 2.2) organisiert sind: Sensitive Graphiken sind in Zonen unterteilt, die mit Hyperlinks verbunden sind. Beispiele finden sich in Abbildung 5. Sie eignen sich besonders für Wörterbücher, bei denen primär der Wortinhalt im Vordergrund steht: So kann beispielsweise die hierarchische Untergliederung des Wortschatzes, d. h. Hyponym- und Hyperonymbeziehungen, an einem sensitiven Baumgraphen dargestellt werden, dessen Zweige zu den jeweiligen Wörterbucheinträgen führen. In diese Richtung geht das in ©HYPERSURFING ENGLISH-FRENCH DICTIONARY (29) angebotene Topics Tree Tutorial (vgl. Anhang A 2.9), das den Zugriff auf den Kernwortschatz der zu lernenden Sprache über den in Abbildung 7 abgebildeten Themenbaum anbietet. Durch einen Mausklick auf ein Blatt dieses Baumes kann beliebig tief in die Hierarchie eingestiegen werden.
Abbildung 8: Suchformular im LEO DICTIONARY: GERMAN <-> ENGLISH
Abbildung 9: Ergebnis der Suche nach ausführen im LEO DICTIONARY: GERMAN <-> ENGLISH
Wörterbücher vom Typ C organisieren den Zugriff auf den Wörterbuchinhalt über Suchformulare. In das Suchformular des in Abbildung 8 gezeigten deutsch-englischen Wörterbuchs LEO DICTIONARY (LINK EVERYTHING ONLINE) (59) wird die gesuchte Wortform eingegeben und die Suche in Gang gesetzt. LEO zeigt dann alle Einträge, die auf die Suchform passen, wie die in Abbildung 9 angezeigten Fundstellen zur Suchform ausführen. Werden keine passenden Einträge gefunden, wird eine Fehlermeldung ausgegeben. Diese Art des Zugriffs ist typisch für Wörterbücher, die primär als Nachschlagewerke konzipiert sind und sich deshalb an dem aus dem Information Retrieval stammenden Paradigma des Pattern-Matching orientieren, also dem maschinellen Musterabgleich zwischen Suchwort und der durchsuchten Datenbasis. Zu welchen Ergebnissen dieser Musterabgleich konkret führt, hängt nicht nur vom Inhalt der durchsuchten Datenbasis ab, sondern auch von der Suchstrategie, die dem Mustervergleich zugrundeliegt. Die in der Ramsch-Sammlung aufgeführten Deutsch-Englisch-Wörterbücher unterscheiden sich in dieser Hinsicht erheblich, wie wir am Beispiel des Suchwortes nur im Anhang dokumentiert haben: Die Ergebnisse einer Suchanfrage im Berliner DEUTSCH-ENGLISCH LEXIKON (55) oder im Gießener [GERMAN-ENGLISH & ENGLISH-GERMAN DICTIONARY] (50) zeigen (vgl. Anhang A 1.4), daß es zunächst nützlich ist, die Suche zumindest auf Formen einzuschränken, die mit dieser Suchform beginnen, wie dies in den Wörterbüchern LEO ENGLISH/GERMAN DICTIONARY(59), dem Dresdner DICTIONARY (56) oder dem Chemnitzer DEUTSCH <->ENGLISCHES WÖRTERBUCH (70) der Fall ist. Weiterhin ist die Auswahl zwischen den beiden Sprachrichtungen Deutsch-Englisch und Englisch-Deutsch nur dann wirklich computertechnisch realisiert, wenn auch beim Suchverfahren zwischen Ausgangs- und Zielsprache unterschieden wird: nurse sollte nicht als Treffer für die Suchform nur erscheinen, wie im DEUTSCH-ENGLISCH LEXIKON (55). In Hinsicht auf die Präzision des Suchverfahrens bestehen große Qualitätsunterschiede zwischen den oben erwähnten Wörterbüchern, die vor allem bei kurzen Suchformen wie da zum Tragen kommen: während das LEO ENGLISH/GERMAN DICTIONARY(59) mit 50 Treffern und das Chemnitzer DEUTSCH <->ENGLISCHES WÖRTERBUCH (70) mit 23 Treffern noch eine einigermaßen übersichtliche Auswahl bietet, sind Listen mit 1122 Fundstellen DEUTSCH-ENGLISCH LEXIKON (55) nur noch schwer zu überblicken. Gut gemachte Wörterbücher vom Typ C sollten deshalb mehrere Suchoptionen anbieten, unter denen ein Benutzer auswählen kann. Als Beispiel hierfür möchten wir das Gießener [GERMAN-ENGLISH & ENGLISH-GERMAN DICTIONARY] (50) anführen: Dieses bietet mehrere Suchmodi an und ermöglicht die Verknüpfung von Wörtern und die Verwendung von sog. Jokerzeichen, die als Variable für ein beliebiges Zeichen bzw. für eine Folge beliebiger Zeichen stehen können. Auch der in Vancouver entwickelte WWW-Zugang zu WORDNET (36), (zum WordNet-Projekt und den unterschiedlichen WWW-Zugängen vgl. 3.4) nutzt die für Datenbankabfragen typische Möglichkeit, Suchbedingungen miteinander zu verknüpfen: Durch Auswahl einer Wortart und - pro Wortart - einer semantischen oder konzeptuellen Relation, kann die Wortformensuche weiter eingeschränkt werden. Die Antwort auf eine Anfrage nach den Antonymen des Adjektivs kind ist im Anhang A 2.10 abgedruckt.
Die Entscheidung darüber, ob der Zugriff auf die Wörterbuchdaten retrievalorientiert oder hypertextorientiert organisiert wird, scheint - wie bereits erwähnt - im Zusammenhang mit der Funktion des Wörterbuchs zu stehen: Wörterbücher, die primär als Nachschlagewerke konzipiert sind, gehören meist zum Typ C. Hypertextorientierte Zugriffsangebote überwiegen bei Wörterbüchern, die primär als Lese- oder Lernbücher gedacht sind.[37] Allerdings haben nun gerade die Gestalter elektronischer Wörterbücher die Möglichkeit, sowohl retrievalorientierte als auch hypertextorientierte Zugriffswege anzubieten, zwischen denen ein Benutzer je nach Benutzungssituation und aktuellem Informationsbedarf wählen kann. Zu diesen Wörterbüchern, die wir dem Typ D zurechnen, gehört z.B. das HYPERTEXT WEBSTER GATEWAY (14) und das LEXICON OF LINGUISTICS (76), deren Zugriffsangebote bereits in Abschnitt 4.3 skizziert wurden. Zu Typ D gehört auch das ebenfalls mehrfach besprochene Beispiel ©HYPERSURFING ENGLISH-FRENCH DICTIONARY (29), dessen Inhalt in verschiedenster Weise erschlossen werden kann: über anklickbare Fotographien (vgl. 4.4), über einen sensitiven Themenbaum (siehe oben), aber auch über die Suche nach einer Wortform. Die Erläuterungen, die der Autor selbst zu diesen drei Zugriffsmöglichkeiten gibt, sind im Anhang abgedruckt (vgl. Anhang A 2.9). Dieses Wörterbuch macht sicherlich am eindrucksvollsten deutlich, welches gestalterische Potential das neue Publikationsmedium im Hinblick auf künftige elektronische Wörterbücher in sich birgt.
Fußnoten
[Anm.: Durch Anklicken der Fußnotenzahl kommt man zurück zur Textstelle.]
[30] | Zur maschinell gestützten Aufbereitung von Print-Wörterbüchern, auch Wörterbuchparsing genannt, vgl. Heyn 1992, Hauser & Storrer 1994 und Storrer 1996. |
[31] | Wir sehen ab von ausgerissenen Seiten, Anmerkungen etc. |
[32] | Vgl. Blumenthal; Lemnitzer; Storrer 1988, Wiegand 1996 und Kammerer (1998). |
[33] | Natürlich unter der Voraussetzung, daß das Verweisziel des Hyperlinks korrekt spezifiziert ist. |
[34] | Zur Theorie informationeller Mehrwerte und dem Terminus Informationsaufbereitung vgl. Kuhlen 1995, Kap. 3.2. |
[35] | Der Vergleich stammt aus Hofman & Simon 1995, S. 82. |
[36] | Zu Zugriffsstrukturen in gedruckten Wörterbüchern vgl. Wiegand 1989a. |
[37] | Zur Typologisierung von Wörterbüchern nach dem Wörterbuchzweck vgl. Kühn 1989, Abschnitt 4. |