Das Internet ist nicht einfach eine neue Publikationsform für herkömmliche
lexikographische Produkte. Wer glaubt, mit einem Internet-Anschluß auch eine Vielfalt von
qualitativ hochwertigen Nachschlagewerken erworben zu haben, die die Anschaffung von
Wörterbüchern und Enzyklopädien in gedruckter Form oder auf CD-ROM überflüssig macht,
wird sich zunächst enttäuscht sehen. Das Internet mit seiner dezentralen
Organisationsform und seinem schnellen Wachstum ist bislang kein Ort der Verbindlichkeit
und Verläßlichkeit. Wer in Eile etwas nachschlagen möchte, kann nicht wissen, ob das
vertraute WWW-Wörterbuch nicht plötzlich mit neuen Zugriffsangeboten aufwartet, deren
Funktionsweise man sich erst aneignen muß - vorausgesetzt die neuen Funktionen sind
überhaupt ausgetestet und funktionstüchtig. Wer unter Berufung auf ein solches
Wörterbuch ein Übersetzungsäquivalent auswählt oder sich für eine bestimmte
Schreibung entscheidet, weiß nicht, ob er diese Referenz morgen noch am angegeben Ort
oder überhaupt noch vorfinden wird. WWW-Wörterbücher, die häufig in ihren Metatexten
selbst darauf hinweisen, daß sie für die Richtigkeit der gemachten Angaben keine
Garantie übernehmen wollen, sind keine Referenzwerke, auf die professionelle Schreiber
oder Übersetzer bei Unsicherheiten und Divergenzen über Sprache vertrauen können.
Die Wörterbücher im Internet sind jedoch eine gute, oft die einzige Informationsquelle für schnell wachsende und sich verändernde Wortschatzbereiche, z. B.in den Naturwissenschaften und vor allem in Informationstechnik und Informatik. Unsere typologische Skizze macht deutlich, daß im Internet aktuelle Informationen zu sich rasch verändernden Fachwortschatzbereichen angeboten werden, vor allem auch selbstbezüglich zu Bereichen der Computer- und Informationstechnik. Dabei zeigt sich deutlich die Rolle des Englischen als Lingua Franca nicht nur im Internet, sondern in der wissenschaftlichen Kommunikation überhaupt: Es gibt kaum ein zwei- oder mehrsprachiges Fachwörterbuch, das nicht das Englische als Ausgangs- oder Zielsprache berücksichtigt; ähnliches gilt für die allgemeinsprachlichen zwei- und mehrsprachigen Wörterbücher. Der Trend zur Selbstthematisierung und zur Verwendung des Englischen als Verkehrssprache ist auch sichtbar bei den zahlreichen Wörterbüchern, die sich mit den sprachlichen Gepflogenheiten von Hackern, MUD-Spielern und anderen Gruppen im Internet beschäftigen. Welche der darin behandelten Wörter und Wortbedeutungen je in ein allgemeines Wörterbuch des Englischen Eingang finden werden, muß sich erweisen. Sicherlich sind aber viele der im Internet angebotenen Spezialwörterbücher sowohl unter soziologischer als auch sprachwissenschaftlicher Perspektive äußerst interessant und könnten auch in der praktischen Lexikographie als Fundgrube für Sprachentwicklungen und Neologismen dienen.
Bislang stecken hinter den Internet-Wörterbüchern meist Projekte oder engagierte Einzelpersonen. Professionelle Wörterbuchverlage halten sich wegen mangelnder Datensicherheit und ungeklärten urheberrechtlichen Fragen im Internet noch zurück. Wie wir in 3.2 in bezug auf die allgemeinsprachlichen Wörterbücher Deutsch-Englisch angedeutet haben, finden sich deshalb nur wenige lexikographisch ausgereifte, abgeschlossene Produkte, die einer intensiven Qualitätsprüfung standhalten könnten. Metalexikographen müssen im Hinblick auf Machart und Terminologie oft eine gehörige Portion Toleranz aufbringen.
Wer jedoch nach neuen Gestaltungsideen für Wörterbücher im allgemeinen und für elektronische Wörterbücher im besonderen sucht, wird mit entsprechender Geduld viel Innovatives und Kreatives finden. Neue Formen der Präsentation lexikalischen Wissens durch Hypertextualisierung und Multimedialität und unterschiedliche Zugriffsangebote haben wir in Abschnitt 4 an ausgewählten Beispielen erörtert. Während einige dieser Formen und Angebote bereits von elektronischen Offline-Wörterbüchern her bekannt sind, sind die vielfältigen Formen der gemeinsamen Wörterbucharbeit, wie sie in 4.2 beschrieben werden, ohne die spezifische Verbindung von Informations- und Kommunikationsdiensten im Internet nicht denkbar. Es entstehen völlig neue Formen der Wörterbucharbeit, die nicht nur vom Bedürfnis nach weltweitem Wissensaustausch getragen sind, sondern - vor allem bei den unterhaltungsorientierten Projekten - auch von Interesse und Spaß an der Kommunikation über Sprache. Das Internet erweist sich auch im lexikographischen Bereich als Marktplatz der Ideen, auf dem nicht nur eingefleischte Internet-Nutzer, sondern auch Lexikographen und Metalexikographen Interessantes und Spannendes finden können.