3. Typologisierung von Internet-Wörterbüchern in Anlehnung an die HSK-Typologie [19]

3.1. Vorbemerkungen

Eine Wörterbuchtypologie dient - sehr vereinfacht gesprochen - dazu, eine Grundmenge von Wörterbüchern anhand eines Inventars typologischer Merkmale in Teilmengen zu zerlegen, also jedes Wörterbuch der Grundmenge einem und (möglichst) nur einem Wörterbuchtyp zuzuordnen. Welche und wie viele typologische Merkmale dabei berücksichtigt werden, ist abhängig von der Zwecksetzung, die mit der Typologisierung verfolgt wird: Eine Wörterbuchtypologie, die dazu dient, Wörterbücher in einer Bibliothek nach benutzerfreundlichen Gesichtspunkten einzustellen, wird Merkmale anders auswählen und gewichten als eine Typologie, die im Rahmen metalexikographischer Theoriebildung entwickelt wird. Auch die Frage, welche Objekte überhaupt zur Grundmenge der Wörterbücher gezählt werden, kann je nach Forschungsinteresse unterschiedlich beantwortet werden.[20]

Typologien mit unterschiedlicher Zielsetzung und verschiedenem Objektbereich wurden u. a. von Quemada 1967, Rey 1970, Henne 1972, Kühn 1978 und Reichmann 1984 vorgestellt; ein Überblick findet sich in Hausmann 1989. Keine der genannten Typologien berücksichtigt jedoch elektronische Wörterbücher, was nicht weiter verwundert, wenn man sich den Entstehungszeitpunkt dieser Typologien vor Augen hält. Entsprechend werden typologische Merkmale verwendet, die teilweise an das Medium Buch gebunden sind, z.B. Merkmale, die sich auf die Anordnung der Textsegmente im gedruckten Wörterbuch beziehen (vgl. Wiegand 1989a und Wiegand 1989b). Solche Merkmale müssen bei elektronischen Wörterbüchern durch medienspezifische Pendants - wie Zugriffsangebote und Suchstrategien (vgl. 4.5) - ersetzt werden. Vorschläge zur Typologisierung maschinenlesbarer lexikalischer Ressourcen wurden von der Computerlexikographie vorgelegt (z.B. Heß et al. 1983; Calzolari 1989; Breidt 1994). Sie beziehen sich auf Datensammlungen, die für Systeme der maschinellen Sprachverarbeitung aufgebaut wurden, bzw. aufbereitete Formen von Print-Wörterbüchern, die für diese Zwecke „wiederverwendet“ werden sollten, und werden deshalb der spezifischen Publikationsform Internet ebenfalls nicht ohne weiteres gerecht. Insbesondere fehlen Aspekte wie Zugriffsangebote, Hypertextualisierung, Multimedialität und Abgeschlossenheit, wie sie in Abschnitt 4 erörtert werden.

Eine typologische Untersuchung der Internet-Wörterbücher kann also weder metalexikographische noch computerlexikographische Ansätze unbesehen übernehmen. In der vorliegenden Untersuchung haben wir dennoch zunächst eine Typologie für gedruckte Wörterbücher zugrundegelegt; daraus jedoch nur die relativ medienunabhängigen Merkmale quantitativ ausgewertet. Es handelt sich um die Typologie, die für das dreibändige internationale Handbuch zur Lexikographie [21] entworfen und in Hausmann 1989 beschrieben wurde. Diese Typologie ist aktuell, metalexikographisch gut fundiert und praktisch orientiert, also darauf ausgerichtet, jedem Wörterbuch einen endgültigen und einmaligen Standort zuzuweisen (Hausmann 1989, S. 970). Aus diesen Gründen erschien sie uns für unsere Zwecke gut geeignet zu sein. Die Typenstufen 1 - 3 der HSK-Typologie ergeben sich durch die Merkmale einsprachig vs. zweisprachig, und allgemein vs. speziell; diese liegen der quantitativen Auswertung in 3.2 und 3.3 zugrunde. Sie werden ergänzt um eine Typologie für Spezialwörterbücher, von der wir uns in 3.4 leiten ließen. Hierbei konnten jedoch nur Tendenzen der quantitativen Verteilung festgehalten werden, da viele der untersuchten Spezialwörterbücher keinem der angegebenen Wörterbuchtypen zugeschlagen werden konnte. Bei der Typologisierung dieser Wörterbücher müßten medienspezifische Aspekte, z.B. die in Abschnitt 4 erläuterten Merkmale, mit berücksichtigt werden.

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3.2. Monolinguale, bilinguale und multilinguale Wörterbücher

Eine quantitative Untersuchung der im Internet angebotenen Wörterbücher kann sich aus den bereits genannten Gründen nur auf einen festgelegten Stichtag beziehen. Unserer Auswertung liegt der Stand vom 1. August 1996 zugrunde. Sie kann ebenfalls nicht auf DIE Menge der im Internet angebotenen Wörterbücher bezogen werden, denn auch diese wäre - selbst bei Angabe eines Stichtages - aus den in 2.2 erläuterten Gründen nur schwerlich zu bestimmen. Wir haben uns deshalb exemplarisch für die quantitative Auswertung von zwei Wörterbuchsammlungen entschieden: Die gut gepflegte und sehr umfangreiche Beard-Liste (4) und die auf Englischwörterbücher und das Sprachpaar Deutsch-Englisch spezialisierte Ramsch-Liste (8).

Die HSK-Typologie unterscheidet zunächst zwischen einsprachigen und zweisprachigen Wörterbüchern. Da elektronische Wörterbücher auch mehrere Sprachrichtungen gleichzeitig anbieten können, haben wir dieses Merkmalspaar auf die Triade monolingual (eine Sprache), bilingual (zwei Sprachen) und multilingual (mehr als zwei Sprachen) erweitert. Das Ergebnis der Auszählung der beiden oben genannten Sammlungen ist in Tabelle 1 dargestellt.

  Beard-Liste Ramsch-Liste
Gesamtzahl 154 62
davon    
A monolingual 43 35
B bilingual 96 23
C multilingual 14 4
mit Englisch 113 62
Tabelle 1: Anzahl der ein-, zwei- oder mehrsprachigen Wörterbücher in den untersuchten Wörterbuchsammlungen

Es zeigt sich, daß die bi- und multilingualen Wörterbücher überwiegen, wobei in den meisten Fällen Englisch mitberücksichtigt wird. Während dies bei der auf Englisch spezialisierten Ramsch-Sammlung nicht weiter verwundert, erklärt sich der auch in der Beard-Sammlung sichtbare Trend daraus, daß das Englische als Lingua Franca des Internet fungiert. Man kann davon ausgehen, daß die meisten Internet-Nutzer das Englische genügend beherrschen, um die angebotenen Englisch-Wörterbücher zu nutzen.
Beeindruckend ist auch die Vielfalt der berücksichtigten Sprachen. Funktionstypologisch ist hier sicher noch weiter zu unterscheiden zwischen Wörterbüchern mit Sprachpaaren wie Gamilaraay-Englisch, Ojibwe-Englisch, Cherokee-Englisch und Seneca-Englisch, die wohl vornehmlich dokumentarischen Wert haben und für sprachwissenschaftliche Untersuchungen interessant sind, und Wörterbüchern mit Sprachpaaren wie Deutsch-Englisch oder Französisch-Englisch, die für die Online-Nutzung in Sprachrezeptions- und -produktionssituationen konzipiert sind. Hauptsächlich als Übersetzungshilfen sind multilinguale Wörterbücher wie das LOGOS-Wörterbuch (16) und EURODICAUTOM (72) gedacht, zumal wenn sie - wie im Beispiel LOGOS - von Firmen angeboten werden, die schon jahrelang im Bereich der maschinellen Übersetzung engagiert sind. Insgesamt wird die im Internet bestehende Möglichkeit, verschiedene Sprachen und verschiedene Sprachrichtungen unter einer Oberfläche anzubieten, noch relativ wenig genutzt.

Wer jedoch glaubt, ein Internet-Anschluß mache die Anschaffung eines deutsch-englischen Wörterbuchs überflüssig, wird bei näherer Bekanntschaft mit den verfügbaren Online-Nachschlagewerken für Deutsch-Englisch bald gerne zum gedruckten oder Offline-Wörterbuch zurückkehren. Die momentan verfügbaren Online-Wörterbücher können weder in Bezug auf Art und Anzahl der berücksichtigten Stichwörter (äußere Selektion) noch im Hinblick auf Art und Anzahl der lexikographischen Angaben, die zu einem Stichwort gemacht werden (innere Selektion), dem Vergleich mit einem professionell erarbeiteten Wörterbuch standhalten:

Im Hinblick auf die innere Selektion begnügen sich die Online-Wörterbücher zum Sprachpaar Deutsch-Englisch meist mit der Angabe des Übersetzungsäquivalents; grammatische Angaben, Angaben zur Flexion oder Beispiele sind selten. Eine rühmliche Ausnahme bildet in dieser Hinsicht das Dresdner DICTIONARY (56), das auch im Bereich der Suchstrategien gut abschneidet (vgl. 4.5).

In einer Stichprobe zur äußeren Selektion haben wir die Online-Wörterbücher DEUTSCH-ENGLISCH LEXIKON (55), DEUTSCH <-> ENGLISCHES WÖRTERBUCH (70), DICTIONARY (56), [GERMAN-ENGLISH & ENGLISH-GERMAN DICTIONARY] (50), ENGLISCH <-> DEUTSCH (61) und LEO ENGLISH/GERMAN DICTIONARY (59) mit dem DUW-DO 1994 [22] verglichen. Wir suchten nach den Wortformen klipp und klar, sowohl, obschon, nachhaltig, Datenautobahn, Informationsgesellschaft, blättern, durchstöbern, Frauenbeauftragte, urtümlich, neudeutsch, Eierschale. Die Ergebnisse in Tabelle 2 zeigen (X heißt: die Wortform wurde gefunden), daß die Online-Wörterbücher nicht nur bei selten verwendeten Wörtern wie obschon, nachhaltig und urtümlich lückenhaft sind, sondern auch Neuschöpfungen wie neudeutsch oder Frauenbeauftragte nicht erfassen. Lücken gibt es selbst in Wortschatzbereichen mit Bezug zur Computerkommunikation wie Informationsgesellschaft, Datenautobahn oder beim Verb durchstöbern, das häufig als Übersetzung für das englische to browse (zu Browser) benutzt wird. Dies ist überraschend, weil Online-Wörterbücher gegenüber Print- und Offline-Publikationen prinzipiell den Vorteil haben, daß sie ständig aktualisiert und auf dem neuesten Stand gehalten werden können.

  DUW DO (55) (70) (56) (50) (61) (59)

Summe

klipp und klar

X

X

X

X

 

 

 

X

5

sowohl

X

X

X

X

X

X

X

X

8

obschon

X

X

 

 

 

X

 

X

3

nachhaltig

X

X

 

 

X

 

 

 

3

Datenautobahn

 

 

 

 

 

 

 

X

1

Informationsgesellschaft

X

 

 

 

 

 

 

 

1

blättern

X

X

X

X

X

 

 

X

7

durchstöbern

X

X

 

 

 

X

 

X

4

Frauenbeauftragte

X

 

 

 

 

 

 

 

1

urtümlich

X

X

 

 

 

 

 

 

2

neudeutsch

X

X

 

 

 

 

 

 

2

Eierschale

X

X

 

 

X

X

 

X

5

Summe

11/12

9/12

3/12

3/12

4/12

4/12

1/12

7/12

 
Tabelle 2: Stichproben zur inneren Selektion in Online- und Offline-Wörterbüchern

Dieser Aktualitäts-Vorsprung wird bislang bei den allgemeinsprachlichen Wörterbüchern nicht genutzt. Ein intensiverer Blick in die meisten der verfügbaren Angebote macht schnell deutlich, daß Engagement und Kooperationsbereitschaft allein nicht ausreichen, um qualitativ brauchbare Wörterbücher für ein Sprachpaar wie Deutsch und Englisch zu schreiben. Da sich professionelle Wörterbuchverlage aus urheberrechtlichen Gründen und aus Furcht vor mangelnder Datensicherheit bislang dem Internet fernhalten, sind solche von Privatpersonen und Gruppen getragene Initiativen dennoch lobenswert.

3.3. Allgemeine Wörterbücher und Spezialwörterbücher

Auf der nächsten Typenstufe unterscheidet die HSK-Typologie allgemeine Wörterbücher und Spezialwörterbücher, wobei die allgemeinen Wörterbücher - in Abgrenzung zu den merkmalhaltigen Spezialwörterbüchern - einen „merkmallosen Grundtyp“ repräsentieren (Hausmann 1989, S. 973). Mit unserer oben genannten Erweiterung um multilinguale Wörterbücher haben wir also auf der zweiten Typenstufe sechs Wörterbuchtypen, deren Verteilung in den untersuchten Sammlungen in Tabelle 3 zusammengefaßt ist.

  Beard-Liste Ramsch-Liste
Gesamtzahl 154 62
davon:    
A1 monolinugal allgemein 33 17
A2 monolingual speziell 10 18
B1 bilingual allgemein 84 20
B2 bilingual speziell 12 3
C1 multilingual allgemein 6 2
C2 multilingual speziell 8 2
Tabelle 3: Verteilung der sechs Wörterbuchtypen in den untersuchten Wörterbuchsammlungen

Da wir uns - vor allem bei ausgefallenen Sprachen - bei dieser Auswertung häufig nur am Wortlaut des Aktionswortes orientieren konnten, muß dieses Ergebnis mit Vorsicht gelesen werden: Hinter merkmallos klingenden Titelangaben wie TAMIL ON-LINE LEXICON oder JAPANESE ELECTRONIC DICTIONARY (54) können sich durchaus Spezialwörterbücher verbergen, ohne daß dies von uns - und gegebenenfalls auch nicht von dem Betreiber der Sammlung - erkannt werden kann. Dadurch könnte der deutliche Trend zum allgemeinen Wörterbuch überzeichnet sein. Das Merkmal allgemein ist dabei auf die Auswahl des aufgenommenen Wortschatzes zu beziehen. Die Spezialwörterbücher im Internet können nur schwer auf die Verselbständigung von Bauteilen allgemeiner Wörterbücher zurückgeführt werden, wie dies für Print-Wörterbücher in Hausmann 1977 gezeigt wurde. Wie im vorigen Abschnitt bereits erwähnt, sind die lexikographischen Angaben in den allgemeinen Internet-Wörterbüchern derart dürftig, daß eine weitere Reduktion schwer möglich ist.
Bemerkenswert ist das Fehlen eines deutschen einsprachigen allgemeinen Wörterbuchs, also eines Pendants zum HYPERTEXT WEBSTER GATEWAY (14) für das Englische oder dem SVENSKA AKADEMIENS ORDBOK (26) für das Schwedische. Allerdings zeigen nicht nur deutsche Wörterbuchverlage bislang wenig Neigung, ihre Daten im Internet anzubieten.[23] Auch im zweisprachigen Bereich und auch für andere Sprachen - beispielsweise das Englische, das Spanische oder das Italienische - handelt es sich bei den im Internet angebotenen Wörterbüchern nur selten um Online-Versionen kommerzieller Wörterbücher.

3.4. Typen von Spezialwörterbüchern

In der HSK-Typologie werden die Spezialwörterbücher unterteilt in:[24]

A) Syntagmatische Spezialwörterbücher (z.B. Valenz, Kollokationen, Phraseologie, Zitate, Sprichwörter),
B) Paradigmatische Spezialwörterbücher (z.B. Synonyme/Antonyme, begrifflich angeordnete Wörterbücher, Thesauri, Bildwörterbücher, Reimwörterbücher),
C) Spezialwörter zu markierten Lemmata der Standardsprache (z.B. Archaismen, Neologismen, Slang, Schimpfwörter, Fremdwörter),
D) Wörterbücher zu bestimmten weiteren Lemmatypen (z.B. Abkürzungen, Wortbildungsmittel, Berufs-, Tier- und Pflanzenbezeichnungen, Wörterbücher zu bestimmten Wortarten wie Verben, Partikeln, Präpositionen),
E) Namenwörterbücher (z.B. Orts-, Personen- und Gewässernamen),
F) Spezialwörterbücher mit bestimmten Informationstypen (z.B. Rechtschreibung, Aussprache, Flexion, Frequenz, Herkunft),
G) Didaktische Spezialwörterbücher (z.B. Grundwortschatz, Schulunterricht, Fremdsprachendidaktik),
H) Auf die Varietäten der Sprache bezogene Wörterbücher (z.B. Sprachstadien, Dialekte, Fachsprachen, Gruppensprachen und Geheimsprachen),
I) Auf Texte bezogene Wörterbücher (z.B. Autorenwörterbücher, Konkordanzen, Belegstellenwörterbücher).

Eine quantitative Untersuchung der Spezialwörterbücher im Internet war im Rahmen unserer Untersuchung wegen des dafür erforderlichen hohen Zeitaufwands nicht möglich. Außerdem lassen sich einige der von uns untersuchten Spezialwörterbücher nur schwer in diese Typologie einordnen. Für eine weitere Auswertung müßte eine eigene Typologie erarbeitet werden, in der die in Abschnitt 4 behandelten medienspezifischen Aspekte berücksichtigt sind. Wir werden uns deshalb im folgenden auf die wichtigsten Trends und interessante Beispiele beschränken. Wir haben für diese Untersuchung neben den in 3.2 und 3.3 ausgewerteten Sammlungen auch die viele Kuriositäten enthaltende Peus-Sammlung (1) hinzugezogen.

Ad A) Syntagmatische Spezialwörterbücher sind rar. Obwohl Valenz, Subkategorisierung, Argumentstrukturen und Kollokationen wichtige Forschungsthemen in Linguistik und Computerlinguistik sind, werden keine Spezialwörterbücher zu diesen Informationstypen angeboten. Wir fanden ein englisch-rumänisches Sprichwörterbuch (ENGLISH-ROMANIAN DICTIONARY OF PROVERBS (23)) und ein deutsch-englisches Phraseologiewörterbuch [GERMAN-ENGLISH IDIOMS] (9), dem wir aber auf die Anfragen ins Gras beißen, ins Auge gehen, ins Fettnäpfchen treten leider keine Antwort entlocken konnten. Das Zitatenwörterbuch A DICTIONARY OF SCIENTIFIC QUOTATIONS (30) ist das einzige seiner Art, und das SWEDISH IDIOMS IN PAINFULLY LITERAL TRANSLATION (73) entpuppt sich als kollaborativ entwickeltes Ulkwörterbuch, in dem schwedische Phraseologismen mit einer wörtlichen englischen Übersetzung und einer weiteren Bedeutungserläuterung versehen werden. Wer sich die kleine Auswahl der Einträge im Anhang A 2.2 zu Gemüte führt, wird verstehen, warum wir dieses Wörterbuch nur ungern dem Typ der syntagmatischen Spezialwörter zuordnen möchten (vgl. auch die Einordnung des Wörterbuchs in 4.2).

Ad B) Bei den paradigmatischen Spezialwörterbüchern ist es vor allem um das Deutsche schlecht bestellt: Es findet sich weder ein Synonymwörterbuch noch ein Thesaurus, noch ein sonstwie begrifflich angeordnetes Wörterbuch. Auffällig in Anbetracht der Multimedialität des Mediums ist auch das Fehlen von Bildwörterbüchern (vgl. 4.4). Beim Reimen kann sich bislang nur der schwedische Internet-Nutzer Rat einholen (ETT RIMLEXIKON FÖR SVENSKA (33)), Kreuzworträtsel müssen in allen Sprachen noch ohne Online-Hilfe gelöst werden. Vielleicht fehlt den Internet Nutzern einfach auch die Zeit zum Dichten und Kreuzworträtseln.[25]

Für das Englische gibt es neben mehreren elektronischen Versionen des ROGET’S THESAURUS (22) auch unterschiedliche WWW-Zugänge [26] zu der semantisch-konzeptuell orientierten lexikalischen Datenbank WORDNET, die an der Universität Princeton von einem Autorenteam [27] aufgebaut wurde. WORDNET 1.5 ist als semantisches Netz organisiert: Wortformen, die dasselbe Konzept ausdrücken, sind in sog. synsets zusammengefaßt, die über semantisch-konzeptuelle Relationen wie Hyponymie oder Meronymie miteinander vernetzt sind. Darüber hinaus können lexikalische Relationen, z.B. Antonymie, zwischen den Elementen eines synsets, also zwischen einzelnen Wortbedeutungen, spezifiziert werden (vgl. Fellbaum 1996). Das sehr umfangreiche WORDNET wird in verschiedensten Projekten in Computerlinguistik, theoretischer Linguistik und Psycholinguistik eingesetzt, eine Übersicht gibt Fellbaum (im Druck). Die verschiedenen WWW-Zugänge enthalten unterschiedliche Zugriffsangebote auf das dabei entstehende Netz von Wörtern und Konzepten (synsets). Der von Andrew Daviel entwickelte Zugang in den Vancouver Webpages (36) wird in 4.5 näher besprochen.

Ad C) Markierte Lemmata der Standardsprache:
In dieser Sparte sind vor allem die Schimpf-, Slang- und Tabuwörterbücher gut vertreten, wie beispielsweise HOW TO SWEAR IN GERMAN! (15), THE DICTIONARY OF DECADENCE ON-LINE (51) und [RUSSIAN OBSCENITIES] (11). Als kollaboratives Wörterbuchprojekt konzipiert sind THE ALTERNATIVE DICTIONARIES. INTERNATIONAL SLANG - AN INTERNET COLLABORATIVE PROJECT (64), (siehe auch 4.2), in dem verschiedenste Beiträger - wie die Übersicht im Anhang A 2.3 zeigt - Tabu- und Schimpfwörter aus bislang 79 Sprachen eingetragen haben; der deutsche Teil reicht von abpoofen bis zu einer uns bis dato unbekannten Bedeutung von Zelt.

Ad D) Wörterbücher zu bestimmten weiteren Lemmatypen:
Zu diesem Typ fanden wir nur Abkürzungswörterbücher; von diesen gibt es jedoch gleich mehrere. Nach unseren Stichproben empfehlen wir das Wörterbuch ACRONYME UND ABKÜRZUNGEN / ACRONYMS AND ABBREVIATIONS (44) der FU Berlin, das nicht nur mit relativ mehrdeutigen Kürzeln wie IDS und GI gut zurechtkommt, sondern sowohl auf typisch englische Kürzel wie asap als auch auf typisch deutsche Kürzel wie jwd eine Antwort weiß. Die Ergebnisse unserer Stichproben sind in Tabelle 4 zusammengefaßt.

Tabelle 4: Gegenüberstellung der Suche in vier Akronymwörterbüchern nach IDS, GI, asap, jwd (zum Öffnen dieser Tabelle in einem neuen Fenster bitte hier anklicken).

Ad E) Namenwörterbücher:
Hierzu fanden wir nur ein recht dünnes Wörterbuch zur Herkunft von Vornamen: THE ETYMOLOGY OF FIRST NAMES (49).

Ad F) Spezialwörterbücher mit bestimmten Informationstypen:
Als einziges etymologisches Wörterbuch liegt das NATHAN BAILEY’S UNIVERSAL ETYMOLOGICAL ENGLISH DICTIONARY, 1736 (66) in Auszügen vor. Wörterbücher zur Aussprache und Frequenz haben wir nicht entdeckt. Die automatische Rechtschreibkontrolle für das Türkische [SPELLCHECKER] (12) konnten wir in Ermangelung türkischer Sprachkenntnisse nicht austesten; andere Rechtschreibwörterbücher sind nicht im Angebot. Ein neuer Typ von Morphologiewörterbuch ist das Formengenerierungsprogramm ELECTRONIC DICTIONARY OF FRENCH INFLECTED FORMS (39), das zu französischen Lemmata die Wortart und alle Flexionsformen ausgibt und laut Metatext über 5.000.000 Wörter enthält. Spezialisiert auf französische Verbkonjugation ist der im Rahmen des ARTFL-Projekts (Project for American and French Research on the Treasury of the French Language) entwickelte Formengenerator VERB CONJUGATION (34), der auf einem von Rank Xerox entwickelten Programm zur morphologischen Analyse aufbaut .

Ad G) Didaktische Spezialwörterbücher:
Hier fanden wir ein Angebot in Skandinavien. Das LEXIN SVENSK-FINSKT LEXIKON (63) ist ein schwedisch-finnisches Grundwortschatzwörterbuch, das vom schwedischen „Skolverket“, einer übergeordneten Schulbehörde, herausgegeben wird. Besonders interessant ist das Lernerwörterbuch ©HYPERSURFING ENGLISH-FRENCH DICTIONARY von Jouni Santara (29). Wie in 4.4 und 4.5 noch gezeigt werden wird, nutzt dieses Wörterbuch die Möglichkeiten der Publikationsform in ganz besonders innovativer Weise und bietet verschiedene Arten des Zugriffs auf den im Wörterbuch vermittelten Wortschatzausschnitt. Der Lernerfolg kann mit interaktiven Vokabeltests überprüft werden.

Ad H) Varietäten:
Der größte Teil der von uns untersuchten Spezialwörterbücher gehört zu diesem Typ. Zunächst finden sich eine Reihe von Wörterbüchern, die sich mit den nationalen Varianten des Englischen befassen, wie z.B. das BRITSPEAK. ENGLISH AS A SECOND LANGUAGE FOR AMERICANS (31) oder das N.Z. ENGLISH TO U.S. ENGLISH DICTIONARY (41).

Dialektwörterbücher sind seltener; als besonders schön gemachtes Wörterbuch diesen Typs haben wir in 2.2 das schwäbisch-englische Wörterbuch von Thomas Kemmer (42) erwähnt. Das Inhaltsverzeichnis in Abbildung 1 zeigt, daß es neben dem eigentlichen Wörterteil auch Informationen zur Flexion und Grammatik, eine Literaturliste und ein Abkürzungsverzeichnis enthält. Der Wörterteil macht nicht nur von den Möglichkeiten des Publikationsmediums in kreativer Weise Gebrauch (vgl. 4.2 und 4.4), sondern enthält eine gehörige Portion subtilen Humors, zu dessen Verständnis aber vertiefte Kenntnisse der schwäbischen Sprache erforderlich sind. Zur Illustration haben wir einen kleinen Auszug aus dem Wörterbuch und einige anonymisierte Leserzuschriften in den Anhang gestellt (Anhang A 2.1).

Den Löwenanteil in der Gruppe der auf Varietäten bezogenen Wörterbücher stellen die fachsprachlichen Wörterbücher, Glossare und Terminologiesammlungen. Vielfach betreffen sie computerbezogene Terminologie, wie das [GLOSSARY OF VIETNAMESE COMPUTER TERMS AND THEIR ENGLISH AND FRENCH EQUIVALENTS] (13), das ENGLISH-GREEK DICTIONARY OF NETWORKING TERMS (47), das FOLDOC. FREE ON-LINE DICTIONARY OF COMPUTING (37), das RUSSIAN-ENGLISH, ENGLISH-RUSSIAN DICTIONARY AND THESAURUS OF COMPUTER TERMS (32) oder - noch spezieller - auf das Internet bezogene Termini wie das NETGLOS - MULTILINGUAL GLOSSARY OF INTERNET TERMINOLOGY (38) oder das [INTERNET-USER-GLOSSARY] (77).
Ansonsten überwiegen naturwissenschaftliche Terminologiesammlungen wie das BEILSTEIN DICTIONARY. FOR USERS OF THE BEILSTEIN HANDBOOK OF ORGANIC CHEMISTRY (40) oder THE DICTIONARY OF CELL BIOLOGY (62). Für Linguisten interessant ist das LEXICON OF LINGUISTICS (76) von Jan Don, Johan Kerstens, Eddy Ruys und Jost Zwarts in der WWW-Fassung von Hans Leidekker, das nicht nur durch seine Präsentation (vgl. 4.3 und 4.5) überzeugt, sondern auch durch die Güte der angebotenen Definitionen.

Der Bezug aufs Internet ist auch charakteristisch für die Wörterbücher, die Sonder- und Gruppensprachen beschreiben: Unterschiedliche WWW-Zugänge zum THE NEW HACKER’S DICTIONARY (43) (das auch gedruckt vorliegt) beschreiben die Sprache der Computervirtuosen. Die in der Internet-Kommunikation häufig verwendeten Smileys [28] sind im THE UNOFFICIAL SMILEY DICTIONARY (48) erfaßt. Während die im Anhang abgedruckte Liste der Basic Smileys (Anhang A 2.5) den meisten Internet-Nutzern noch bekannt sein dürfte, sind die im ABRIDGED DEMONH'KA DICTIONARY (60) (vgl. Anhang A 2.4) verzeichneten Wörter und Phrasen vermutlich nur noch denjenigen zugänglich, die sich in der interaktiven Spielewelt des MUD [29] (Multi User Dungeon) auskennen.

ad I) Textbezogene Wörterbücher:
Im WWW können im Prinzip Textteile mit Wörterbucheinträgen über Hyperlinks verbunden werden. Diese neue Gestaltungsmöglichkeit für die textbezogenen Wörterbücher wird bislang jedoch nur in Einzelfällen genutzt. Zu den wenigen Beispielen, die in den von uns untersuchten Sammlungen aufgeführt wurden, gehören BIBELN. DEN HELLIGE SKRIFT (21), in dem die norwegische und englische Fassung der King James Bibel mit griechischen und hebräischen Übersetzungen verbunden ist, THE MIDDLE ENGLISH COLLECTION AT THE ELECTRONIC TEXT CENTER (17) und das LIDDELL-SCOTT-JONES LEXICON OF CLASSICAL GREEK (67), das im Rahmen des Perseus-Projekts (Aufbau einer digitalen Bibliothek zum klassischen Griechisch) an der Universität Tufts aufgebaut wird.

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Fußnoten

[Anm.: Durch Anklicken der Fußnotenzahl kommt man zurück zur Textstelle.]

[19] Als HSK-Typologie bezeichnen wir die in Hausmann 1989 vorgestellte Typologie für Printwörterbücher, die den drei Handbüchern zur Lexikographie zugrundeliegt, die in der HSK-Reihe (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft) erschienen sind.
[20] Zu den wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Typologisierung von Wörterbüchern vgl. Wiegand 1988.
[21] Vgl. Hausmann et al. 1989; Hausmann et al. 1990.
[22] DUDEN UNIVERSALWÖRTERBUCH und DUDEN-OXFORD GROSSWÖRTERBUCH als CD-ROM.
[23] Anders sieht es im Bereich der Enzyklopädien aus: MEYERS LEXIKON - DAS WISSEN A-Z (27) ist online abrufbar.
[24] Hausmann 1989, wir orientieren uns an den in Hausmann et al. 1989 und Hausmann et al. 1990 angegebenen Überschriften.
[25] Gegen diese Hypothese spricht allerdings das umfangreiche Angebot an Online-Kreuzworträtseln.
[26] WWW-Zugang ist unsere Eindeutschung von Interface und bezeichnet die Benutzeroberfläche, mit der auf die lexikalischen Daten zugegriffen werden kann. Im Falle von frei verfügbaren Wörterbüchern wie WORDNET, ROGET’S THESAURUS und HYPERTEXT WEBSTER GATEWAY gibt es mehrere Zugänge, die sich in Gestaltung und Zugriffsangeboten (vgl. 4.5) unterscheiden. Die mirror genannten Kopien desselben Wörterbuchs auf verschiedenen WWW-Servern, die primär dazu gedacht sind, die Zugriffszeiten zu verringern, zählen hingegen nur als ein WWW-Zugang.
[27] In der WWW-Präsentation des WordNet-Projekts an der Princeton University (46) werden genannt: M. Chodorow, C. Fellbaum, P. Gildea, S. Landes, C. Leacock; G. A. Miller, R. Tengi, P. Wakefield, K. Yanovsky . Am Aufbau eines am englischen WordNet orientierten lexikalisch-semantischen Netzes für das Deutsche (GermaNet) arbeitet das LSD-Projekt am Seminar für Sprachwissenschaft der Universität Tübingen in Zusammenarbeit mit dem Klett Verlag.
[28] Smileys sind vorwiegend aus Sonderzeichen zusammengesetzte Symbole, mit denen Empfindungen zum Ausdruck gebracht werden, z.B. wird schlechte Stimmung oder Ärger mit dem „Emoticon" :-( ausgedrückt (zum besseren Verständnis Kopf nach links drehen!). Vgl. die Basis-Smileys im Anhang A 2.5.
[29] Multi User Dungeon; vgl. Kretschmer 1996, Abschnitt 5.3.