Abstracts Deutsche Sprache 2/11
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Gisela Zifonun
Relationale Adjektive - ein "klassisches" Muster im europäischen Vergleich
Abstract
Relationale Adjektive, also Adjektive, die aus Substantiven abgeleitet werden und die in attributiver Konstruktion mit einem Kopfsubstantiv eine unspezifische Relation zwischen dem Begriff des Kopfs und dem Begriff der Basis ausdrücken, spielen in den klassischen Sprachen eine bedeutende Rolle. Ausgehend von der silvestris musa, der Waldmuse des Vergil, wird in dem vorliegenden Beitrag den Nachwirkungen dieses Musters in europäischen Sprachen, dem Französischen, Englischen, vor allem aber im Deutschen nachgegangen. Die semantische Funktion solcher Adjektive wird der funktionalen Domäne 'klassifikatorische Modifikation' zugeordnet. Sprachübergreifende Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden herausgearbeitet. In knapper Form werden auch relationale Adjektive im Polnischen und Ungarischen, den weiteren Vergleichssprachen des Projekts "Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich", einbezogen. Die Frage nach dem Verhältnis von universalen, sprachfamiliären, arealen und sprachspezifischen Eigenschaften des Konstruktionsmusters sowie nach dem Grad des lateinischen Einflusses wird auf diesem Hintergrund präziser formulierbar.
Relational adjectives, i.e. adjectives derived from nouns and in attributive constructions with a noun head expressing a non-specific relationship between the concept of the head and the concept of the base, play an important role in the classical languages. Taking the silvestris musa, Virgil's sylvan muse, as its starting point, the present article examines the effects of this pattern in European languages: French, English, and especially German. The semantic function of such adjectives is assigned to the functional domain of 'classificatory modification'. The article brings out cross-linguistic similarities and differences including, in concise form, relational adjectives in Polish and Hungarian, the languages for further comparison in the project "German grammar in a European comparison". Against this background it becomes possible to formulate the question of the relationship between universal, language-family, areal and language-specific features more precisely.
Hans-Werner Eroms
Attributive Adjektivcluster
Abstract
Adjektive in der Nominalphrase haben die Funktion, ihr Bezugssubstantiv zu spezifizieren. Trotz der begrenzten Anzahl ursprünglicher Adjektive lassen sie durch Kombination, Koordination und weitere Verdichtungen eine hohe Zahl von Ausdrucksmöglichkeiten zu. Während die Funktion von hintereinandergeschalteten Adjektiven, die universal einer weitgehend festen Reihenfolge gehorchen, gut untersucht ist, sind andere Kombinationstypen weniger klar dargestellt. Insbesondere bestimmte Verkettungen von Adjektiven sowie Zusammensetzungen vom Typ tölpisch-frech oder neblig-kühl sind bislang unzulänglich behandelt. Sie werden in diesem Artikel von den dependenten Adjektivattribuierungen abgegrenzt und in ihrer Funktion als intensivierende Adjektivzusammensetzungen und damit als Zwitterformen herausgearbeitet, die sich mit Wortbildungs-, aber auch mit syntaktischen Regeln erfassen lassen. Zusammen mit den anderen Verdichtungstypen führen sie zu Clusterbildungen in der Nominalphrase, die in der deutschen Gegenwartssprache immer weiter zunehmen.
Adjectives in noun phrases have the function of specifying the noun they accompany. In spite of the limited number of basic adjectives, they have a large number of expressive possibilities due to combination, coordination and other condensed forms. While the function of series of adjectives, which universally follow a largely fixed order, has been studied in detail, other types of combination have been less clearly described. In particular, certain chains of adjectives and combinations of the type tölpisch-frech or neblig-kühl have not received adequate treatment. In this article they are distinguished from the dependent attributive adjectives and are described in their capacity as intensifying adjective compounds and thus as combinations, which can be analysed according to the rules of word-formation and those of syntax. Together with other condensed forms they lead to the formation of clusters in the noun phrase, which are on the increase in contemporary German.
Christian Fandrych
Wie geht es eigentlich den "Halbsuffixen"?
Abstract
Der Beitrag diskutiert den Status von reihenbildenden adjektivischen Zweitgliedern, die in der Wortbildungsdiskussion der vergangenen Jahrzehnte meist einem Zwischenbereich zugeordnet wurden, der teils mit Begriffen wie "Halbaffix" oder "Affixoid" gefasst wurde. Es wird argumentiert, dass es sich um einen Kernbereich adjektivischer Wortbildung handelt, der mit dem Begriff der lexematischen Junktion besser gefasst werden kann, und der einen prägnanten Platz im Wortbildungssystem des Adjektivs besitzt. Dies wird im Folgenden mit einem Überblick über wichtige semantisch-funktionale Felder, in denen derartige Zweitglieder produktiv sind, überblickshaft illustriert.
This article discusses the status of productive adjectival second elements, which in the literature on word-formation in recent decades have mostly been associated with a transitional area referred to by terms such as "semi-affix" or "affixoid". The article argues that this is a core area of adjectival word-formation which is better described by the term lexematic junction, and that it has a prominent place in the word-formation system of the adjective. The article gives a survey of major semantic-functional fields in which such second elements are productive.
Klaas Willems
Essen oder fressen?
Eine Fallstudie zum Verhältnis von Korpusdaten und Intuition in der lexikalischen Semantik
Abstract
In letzter Zeit gibt es ein reges Interesse an Grundsatzfragen, die die Rolle von Introspektion, Korpusdaten, experimentellen, soziolinguistischen, historischen Daten, Ergebnissen aus der Spracherwerbsforschung usw., und damit das komplexe Verhältnis zwischen Theorie und Empirie in linguistischen Untersuchungen zum Gegenstand haben. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Unterschied zwischen Intuition und Introspektion in der lexikalischen Semantik und deren Verhältnis zu Korpusdaten. In einem ersten Teil wird die Introspektion als der Bereich subjektiver psychologischer Assoziationen von der intersubjektiven Intuition einzelsprachspezifischer Bedeutungen abgegrenzt. Danach werden die Ergebnisse einer korpusbasierten Fallstudie vorgestellt, deren Ziel es ist, die Bedeutungen der Verben essen und fressen in der deutschen Gegenwartssprache zu ermitteln und die Rolle, die sowohl die Intuition als auch die Auswertung quantitativer Daten dabei spielen, zu bestimmen. Dazu werden einerseits Wörterbücher und einschlägige Analysen miteinander verglichen und andererseits die Ergebnisse von Korpusrecherchen im 'Mannheimer Korpus' (Deutsches Referenzkorpus, DeReKo) und zusätzlichen Recherchen auf deutschen Webseiten über die Suchmaschine WebCorp diskutiert.
The last two decades have witnessed an upsurge of interest in the link between theoretical linguistics and the different types of linguistic evidence that can be brought to bear in linguistic analysis (introspection, corpus data, experimental data, data from language acquisition, sociolinguistic data, historical data, etc.). In this article, the difference between introspection and intuition in lexical semantics is discussed against the background of their relationship with corpus data. Following an outline of the distinction between introspection and intuition in terms of psychological associations and subjectivity versus knowledge of language-specific, systemic meanings and intersubjectivity, the article proceeds to survey the results of a case study into the meaning differences between the verbs essen and fressen in present-day German. The meaning descriptions in a number of dictionaries and semantic analyses are compared and contrasted with corpus findings from the 'Mannheimer Korpus' (Deutsches Referenzkorpus, DeReKo) and additional data extracted from German internet sources via WebCorp, in order to evaluate the extent to which empirical corpus data and intuitive generalisations contribute to obtaining precise definitions of the two verb meanings.