Abstracts Deutsche Sprache 2-3/09

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Hartmut Schmidt

Über den gemeinsamen Sprachgebrauch in Ost und West, seine Probleme und kreativen Möglichkeiten

Abstract

In dieser Arbeit über den neueren deutschen Sprachgebrauch in Ost und West soll nicht das Trennende betont werden, sondern das gemeinsame Spracherbe und seine Wirkung in der Gegenwart. Aber eine Beobachtung gegenüber vielen kritischen Stimmen aus West und Ost sei, in völlig un polemischer Absicht, nicht verschwiegen: Zu viele sprachkritische Artikel aus der Bundesrepublik haben in der Vergangenheit von der aus Texten bekannten offiziellen Sprache der DDR-Machthaber zu direkt auf die wirklich gesprochene Sprache der Bevölkerungsmehrheit geschlossen, und zu viele DDR-Sprachwissenschaftler und Polemiker haben auf die westliche Kritik vor allem als Verteidiger des politischen Kurses der SED reagiert, aus welchen persönlichen Gründen auch immer. Gedruckt worden wären andere Meinungen in der DDR allerdings nicht und der Karriere waren sie auch nicht förderlich. Trotzdem gilt: Die deutsche Sprache hat sich in Ost und West auf jeweils spezifische Weise weiterentwickelt, sie wurde aber nicht gespalten und funktionierte in Ost und West und - trotz spürbarer Unterschiede zwischen Ost und West als gemeinsames Verständigungsmittel, wo immer sie dafür benutzt wurde. Zwischen den Begriffen "Sprachwandel" und "Bezeichnungswandel" muss sorgfältig unterschieden werden. Im kreativen Umgang mit dem gemeinsamen Deutsch haben sich Ost und West längst wieder zusammengefunden. Genauere Untersuchungen über das Alltagsdeutsch in der DDR sind sehr zu wünschen, die Schaffung eines brauchbaren Korpus dafür ist im Nachhinein nicht einfach, sollte aber in Angriff genommen werden.

This article on recent German linguistic usage in east and west stresses not the differences, but the common linguistic heritage and its effect in the present. However, one observation on many critical views from both west and east may be allowed, without any polemical intention: Too many articles on this issue from the Federal Republic have in the past made a direct connection between the official language contained in texts published by the GDR ruling elite and the genuine spoken language of the majority of the population, and too many GDR linguists and polemicists have reacted to western criticism first and foremost as defenders of the political course of the SED, for whatever personal reasons. It must be acknowledged, of course, that other views would not have been published in the GDR and that they would not have been conducive to people's careers. Nevertheless it is true that the German language developed in specific ways in east and west, but that it was not split and functioned in east and west and as a common means of communication wherever it was needed - in spite of noticeable differences between east and west. The terms "linguistic change" and "change of designation" must be carefully differentiated. East and west have long since come together in the creative use of the common German language. More precise studies of the everyday German in the GDR would be very desirable, and although the creation of a useable corpus of this variety after the event would not be easy, it should be undertaken.


Norbert Richard Wolf

Der 'DDR-Wortschatz' als Indikator einer nationalen Varietät? Mit einem Blick auf die Lexikographie des DDR-Wortschatzes

Abstract

Die DDR-Sprachwissenschaft hat früh die Meinung vertreten, dass die geänderten gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse auch neue kommunikative Bedürfnisse nach sich ziehen; dem trage der Wortschatz vor allem im politischen, ideologischen und administrativen Bereich Rechnung. In der damaligen Bundesrepublik Deutschland wurden diese Tendenzen beobachtet und auch bewertet. Es kam zu Sammlungen oder gar 'Wörterbüchern' des DDR-Wortschatzes, die z.T. nicht nur die offizielle Lexik enthielten, sondern auch Wörter, die als humorvoll-ironische Reaktion der Bevölkerung auf die politischen Zu- und Missstände geprägt worden sind. Wenn man gerade alle diese Wortschätze als Elemente einer nationalen Varietät werten will, dann muss man zwei nationale Varietäten annehmen.

From an early point in time GDR linguists put forward the view that changed social and political conditions also result in new communicative needs; this applies in particular to vocabulary in the areas of politics, ideology and administration. In the Federal Republic of Germany these tendencies were observed and evaluated at the time. There were collections or 'dictionaries' of GDR vocabulary, some of which contained not only the official vocabulary, but also words which were coined as a humorous and ironical reaction of the population to the political conditions and injustices. If all these vocabularies are seen as elements of a national variety, then we must accept the existence of two national varieties of German.


Doris Steffens

20 Jahre Mauerfall - Zur Wortschatzentwicklung seit der Wendezeit

Abstract

Die sprachlichen Veränderungen der letzten 20 Jahre sind von zwei Zeitabschnitten gekennzeichnet, die in Bezug auf die Wortschatzentwicklung unterschiedlicher nicht hätten sein können: Der erste, kurze, ist von der Wendezeit - mit auffälligem, meist nur vorübergehendem Lexemwandel - und dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik - mit dem Verschwinden bzw. Austausch des größten Teils des DDR-typischen Wortschatzes - geprägt. Der zweite, wesentlich längere Abschnitt ist von der Entwicklung im vereinigten Deutschland mit einem im Vergleich unauffälligen, weil kontinuierlichen Wortschatzwandel bestimmt.

The linguistic changes of the last 20 years are characterised of two periods which could not have been more different with regard to the development of vocabulary. The first, short period is characterised by the Wendezeit - with noticeable, usually only temporary change of lexemes - and the accession of the GDR to the Federal Republic - with the disappearance and/or substitution of most of the GDR-specific vocabulary. The second, substantially longer, period is the development in post-unification Germany with its comparatively inconspicuous, because continuous, lexical change.


Friedhelm Debus

Namen in Ost und West

Abstract

Namengebung und Namenverwendung weisen in beiden deutschen Staaten vor dem Mauerfall in bestimmten Bereichen deutliche Unterschiede auf. Das betrifft vorwiegend die sog. Institutionyme in der DDR, also Namen für Einrichtungen aller Art (z.B. Schulen, Universitäten, Kasernen, landwirtschaftliche Genossenschaften), nicht zuletzt auch Namen für Straßen, Plätze, Orte. Nach der Wende gab es hier zahlreiche Rück- oder Umbenennungen bzw. auch einfach Verdrängung en. Im Westen blieben vergleichbare Namen bestehen (z.B. Adenauerstraße). Es geht um sozioonomastische/ideologische Motivationsforschung. Interessanterweise gab und gibt es in der Personennamengebung wenige Unterschiede. Hier spielt eher die traditionell-geographische Variation (Plurizentralität) eine Rolle - wie auch im Nord-Süd-Vergleich.

In certain areas the giving and use of names exhibit clear differences in the two German states before the fall of the Berlin Wall. This mainly concerns the so-called institutionyms in the GDR: names for institutions of all kinds (e.g. schools, universities, barracks, agricultural cooperatives), and not least the names of roads, squares, and places. After the Wende there were numerous cases of names being restored, changed or also simply superseded. In the west comparable names (e.g. Adenauerstraße) remained unchanged. This is the subject matter of socio-onomastic/ideological motivational research. Interestingly enough there were and are few differences in the use of personal names. Here it is the traditional geographical variation (pluricentrism) which is important - as it is in the comparison between north and south.


Hans-Werner Eroms

Eigen- und Fremdbenennungen im Deutschland der Wende- und Nachwendezeit

Abstract

In diesem Beitrag werden die Bezeichnungen der Bewohner der alten und der neuen Bundesländer behandelt. Die in der unmittelbaren Wendezeit belegten Ausdrucksweisen werden in ihrem Wandel verfolgt, neu aufgetretene werden einbezogen. Es zeigt sich, dass die Benennungen für die Bewohner der östlichen Bundesländer insgesamt vielfältiger sind als die für die westlichen. Für beide Gruppen lassen sich funktionalstilistische Differenzierungen feststellen. Die eher amtlichen und die neutralen Benennungen sind sachlich-angemessen, meist aber umständlich, während ein Teil der informellen und umgangssprachlichen als Aufhänger für stereotype Vorstellungen herhalten muss. Diese werden aber durchaus erkannt, die Kontexte lassen vielfach auch eine Distanzierung von Negativstereotypen erkennen. Dennoch ist ein relativ verfestigter Ost-West-Gegensatz nicht zu verkennen. Ein Vergleich mit Bezeichnungen des schon älteren Nord-Süd-Gegensatzes ('Bayern versus Preußen') führt aber zu der Annahme, dass sich im Laufe der Zeit die Gegensätze abschwächen werden.

This article analyses the names for the inhabitants of the old and the new federal states in Germany. Expressions found at the time of the Wende are followed in their development, and new expressions are included. It is shown that the names for the inhabitants of the eastern federal states are on the whole more varied than those for the western states. Both groups include functional and stylistic differentiations. The official and the neutral names are objective and appropriate, but mostly pedantic, while some of the informal and colloquial terms are connected with stereotypical images. These are recognised as such, however, and the contexts frequently show a dissociation from the negative stereotypes. Nevertheless, a relatively stable east-west contrast is apparent. A comparison with names from the older north-south contrast ('Bavaria versus Prussia') supports the assumption that the contrasts will weaken in the course of time.


Manfred W. Hellmann

Kontroversen um das 'sprachliche Ost-West-Problem'

Abstract

Dass politische Strömungen und staatliche Forschungsförderung auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema 'Sprache und Kommunikation in Deutschland Ost und West' beeinflusst haben - und zwar in beiden deutschen Staaten -, ist schon festgestellt worden. In diesem Beitrag sollen, einer zeitlichen Gliederung in vier Phasen folgend, diese Beziehungen in Umrissen nachgezeichnet werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Zeit der Reformjahre 1969 bis 1974 und ihr umfassender Paradigmenwechsel in der bundesdeutschen DDR-Forschung und -Forschungsförderung. Hinzu treten Betrachtungen zum Verhältnis von Staat, Nation und Sprache sowie die Frage nach der Kommunikation zwischen Ost- und Westdeutschen seit der friedlichen Revolution.

It has been shown that political trends and national research funding also affected scholarly work on the topic 'Language and communication in Germany East and West' - in both German states. The aim of this article is to sketch these connections using a time scale consisting of four phases. The focus is on the reform years 1969 to 1974 and the accompanying comprehensive paradigm shift in West German research and research funding on topics connected with the GDR. The article also examines the relationship between state, nation and language as well as the question of communication between East and West Germans since the peaceful revolution.


Albrecht Plewnia/Astrid Rothe

Eine Sprach-Mauer in den Köpfen? Über aktuelle Spracheinstellungen in Ost und West

Abstract

Es gibt zwar schon seit dem Mauerfall einen populären Diskurs über die Verständigungsschwierigkeiten zwischen Ost- und Westdeutschen und über die sprachlichen Unterschiede auf beiden Seiten. Über die Meinungen und Einstellungen zu sprachlichen Fragen ist aber so gut wie nichts bekannt. In diesem Beitrag wird untersucht, wie (bzw. wie verschieden) die Deutschen in Ost und West über das Deutsche, über andere Sprachen, über Sprachgebrauch und Sprachpolitik denken. Dabei zeigt sich, dass statistisch gesehen die Gemeinsamkeiten deutlich größer sind als die Unterschiede. Materielle Grundlage für die Untersuchung ist eine repräsentative Meinungsumfrage, die die Forschungsgruppe Wahlen im Herbst 2008 für das Institut für Deutsche Sprache und die Universität Mannheim durchgeführt hat.

The discourse about communication problems between East and West Germans and about linguistic differences between German in East and West has been popular since the fall of the Berlin Wall. But nearly nothing is known about opinions and attitudes regarding linguistic questions. This paper examines how (and how differently) Germans in East and West think about German and other languages, about language use and language politics. Our results indicate that, statistically, both East and West Germans have a lot more in common than there are differences. The data used for this study is drawn from a representative public opinion poll conducted by the Forschungsgruppe Wahlen (research group on elections) for the Institut für Deutsche Sprache and Mannheim University in autumn 2008.