Im Blickpunkt: Aktueller lexikalischer Wandel
Bericht von der 36. Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache (IDS)
von Doris Steffens
Das diesjährige Thema der IDS-Jahrestagung, "Neues und Fremdes im deutschen Wortschatz", die vom 14. bis 16. März 2000 in Mannheim stattfand, traf wie kaum ein anderes bisher den Nerv der Öffentlichkeit, wird doch die Ausbreitung von Anglizismen in der deutschen Sprache inzwischen von vielen als problematisch empfunden.
Auf der Tagung wurde ein Bogen vom Fremdwort, das naturgemäß im Zentrum stand, über verschiedene Wort-bildungsprozesse bis hin zur Rolle von Medien und Werbung bei der Verbreitung von Fremdwörtern geschlagen.
Institutsdirektor Gerhard Stickel wies in seiner Eröffnungsrede darauf hin, dass das Verhältnis der Deutschen zu neuen und fremden Wörtern über die Jahrhunderte hinweg oft ambivalent war und von anhaltender Ablehnung bis zu unbekümmerter Übernahme reichte. Und ebenso ambivalent sei dieses Verhältnis auch heute noch, wo sich infolge der Globalisierung immer mehr Anglizismen im Deutschen finden.
Am ersten Tag lag der Schwerpunkt auf dem Fremdwort, das unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet wurde.
Horst-Haider Munske (Erlangen; "Fremdwörter in deutscher Sprachgeschichte: Integration oder Stigmatisierung") skizzierte die Geschichte des Fremdwortes, das seit Jahrhunderten durch puristische Bestrebungen der Sprachgesellschaften in den Sonderwortschatz abgedrängt und damit ausgegrenzt wurde, was nicht zuletzt die Lexiko-grafie geprägt hat. Munske kam zu dem Schluss, dass die Unterscheidung zwischen Erb- und Fremdwortschatz nicht haltbar sei und hoffentlich eine lexikografische Reminiszenz bleibe.
Andreas Gardt (Heidelberg; "Das Fremde und das Eigene. Zur Geschichte des Fremdwortbegriffs im Deutschen") beschrieb mehrere bis ins 20. Jahrhundert hinein geführte Diskurse, die Fremdwörter zum Gegenstand hatten. Unterschiedliche Positionen vertraten einerseits der sprachpädagogische Diskurs, der Fremdwörter als Bildungsgut begriff, und andererseits der sprachpflegerische Diskurs, der puristisch geprägt war, ohne zwangsläufig ideologisch-konservativ zu sein.
Herbert Ernst Wiegand (Heidelberg; "Fremdwörterbücher und Sprachwirklichkeit") formulierte die Aufgabe, über Fremdwörterbücher neu nachzudenken und sie in einen europäischen Kontext zu stellen. Er schlug vor, Fremdwörterbücher 'Sprachkontaktwörterbücher' zu nennen und stellte für diese eine entsprechende Typologie vor.
Dieter Herberg (IDS; "Neologismen im Deutschen der 90er Jahre") stellte das gleichnamige IDS-Projekt vor, das ca. 1.000 in diesem Zeitraum in der Allgemeinsprache aufgekommene und noch als neu empfundene Lexeme und Bedeutungen beschreiben und als Pilotprojekt im Rahmen des Informationssystems "Wissen über Wörter" des IDS der interessierten Öffentlichkeit über eine Datenbank zugänglich machen will.
Alan Kirkness (Auckland; "Internationalismen/Euro-päismen im heutigen deutschen Wortschatz") untersuchte, welche neuen, in deutschen Wörterbüchern kodifizierten Wörter sich auch in den Wörterbüchern ausgewählter anderer europäischer Sprachen wiederfinden. Für die Wörter, die außer dem Deutschen in vier weiteren Sprachen anzutreffen sind (z.B. Terminal, Tonic, Holocaust), schlug er die Bezeichnung "Europäismen" statt "Inter-nationalismen" vor.
Ulrich Busse (Osnabrück; "Typen von Anglizismen") untersuchte am Beispiel von vier Anglizismen- bzw. Neologismenwörterbüchern (Anglizismen-Wörterbuch von Carstensen/Busse, Trendwörter Lexikon von Loskant, A Usage Dictionary of English in Selected European Languages [UDASEL] hrsg. von Görlach, Wörterbuch überflüssiger Anglizismen von Pogarell/Schröder) die ihnen zugrunde liegenden unterschiedlichen Klassifikationen von Anglizismen.
Am zweiten Tag wurden in erster Linie Wortbildungsfragen behandelt. Daneben wurde auch wieder das Fremdwort thematisiert, diesmal aus der Sicht eines Grammatikers und eines Journalisten.
Irmhild Barz (Leipzig; "Interferenzen beim Wortschatzausbau") beschrieb anhand verschiedener Beispielgruppen Verfahren der Benennungsbildung, und zwar Wortbildung, Bedeutungsbildung und Phraseologisierung, in ihrem Zusammenwirken bei der Erzeugung lexikalischer Innovationen.
Wolfram Wilss (Saarbrücken; "Morphologische Reihenbildung in der deutschen Gegenwartssprache") interpretierte Reihen von Substantiven mit Konstituenten wie selbst-, -isierung, inter- und erklärte ihr Auftreten mit zunehmender Technisierung, Globalisierung und Interdisziplinarität.
Peter Eisenberg (Potsdam; "Zur grammatischen Integration von Fremdwörtern") führte aus, dass Probleme, die bei der Integration von Fremdwörtern entstehen, keine prinzipiellen Fremdwortprobleme sind. So ist die Flexionstypzuweisung bei Substantiven, die ins Deutsche kommen, durchaus als geordnet zu bezeichnen, d.h. der grammatische "Tiefencode" wird nicht beschädigt.
Gerhard Augst (Siegen; "Einfaches und Komplexes im heutigen deutschen Wortschatz") zeigte, dass Kurzwörter nicht die Antwort auf die Zunahme von Mehrfachkomposita sind, sondern dass beide Wortbildungstypen praktisch den gleichen Ursprung haben und fast immer aus einer nominalen Wortgruppe entstehen, wobei beim Kurzwort die Wortgruppe nicht Benennungs-, sondern Eigennamencharak-ter hat (z.B. Bürgerliches Gesetzbuch).
Stephan Speicher (Berlin; "Wie halten es die Journalisten mit Fremdwörtern?") berichtete von seiner Arbeit als Feuilleton-Chef der "Berliner Zeitung" und problematisierte Verständlichkeit und Ersetzbarkeit von Fremdwörtern unter dem Aspekt, wie der Leser am besten erreicht werden kann.
Am Abend wurde Prof. Dr. Siegfried Grosse im Rittersaal des Schlosses der von der Stadt Mannheim vergebene Konrad-Duden-Preis 1999 überreicht. Der Germanist, der bis zu seiner Emeritierung in Bochum lehrte, ist mit Mannheim insofern besonders verbunden, als er von 1987 bis 1993 Präsident des IDS war.
Am dritten Tag wurden der Sprachgebrauch in den neuen Medien und der Werbung sowie Fragen der Sprachkritik behandelt.
Peter Schlobinski (Hannover; "Anglizismen in der elekt-ronischen Kommunikation") ging vor allem auf den Sprachgebrauch beim Gestalten von Webseiten, beim Mailen und beim Chatten ein. Er vertrat nicht die Meinung, dass Anglizismen die deutsche Sprache überfluten und dass sich durch die neuen Medien der Schreibstil grundsätzlich verändert.
Nina Janich/Albrecht Greule (Regensburg; " ,...da weiß man, was man hat? Verfremdung zum Neuen im Wortschatz der Werbung") stellten dar, dass Werbung Aufmerksamkeit insbesondere durch Abweichung von der Regel erreichen kann, z.B. durch Bildung von Phantasienamen wie Twingo, durch Mischung von deutschen und fremdsprachigen Wörtern in Texten, durch Wortspiele und auffällige Schreibung.
Jürgen Schiewe (Freiburg; "Aktuelle wortbezogene Sprachkritik in Deutschland") führte aus, dass Sprachkritik nur als Sprachgebrauchskritik und Wortkritik nur als Wortgebrauchskritik gesehen werden kann und dass nicht mit den Kategorien richtig/falsch, sondern nur mit den Kategorien besser/schlechter operiert werden kann. Den Status von Sprachkritik bestimmte er dahingehend, dass sie selbst keine Normen setze, sondern diese reflektiere und Alternativen aufzeige.
Gerhard Stickel moderierte die abschließende Podiumsdiskussion zum Thema "Einstellungen und Meinungen zu lexikalischen Neuerungen", an der Rudolf Hoberg (Darmstadt), Walter Krämer (Dortmund), Angelika Linke (Zürich), Richard Schrodt (Wien) und Jean-Marie Zemb (Paris) teilnahmen. Wie schon im Verlauf der Tagung wurde auch in mehreren Statements in dieser Runde die Ausbreitung von Anglizismen im Deutschen moderat bewertet, indem vielen Fremdwörtern eine bestimmte Qualität zugesprochen wurde, die deutsche Wörter nicht aufweisen, weil sie beispielsweise nicht die gleiche Bedeutung, nicht die gleiche Stilqualität haben. Während der Diskussion kamen aber auch ganz andere Töne auf, die zu einer Polarisierung der Positionen führten: Walter Krämer, der 1. Vorsitzende des Vereins Deutsche Sprache, vertrat in unsachlicher Weise die Meinung, dass die deutsche Sprache durch den anglo-amerikanischen Einfluss zur "Schimpansensprache" verkomme. Dass insgesamt eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Thematik nötig ist, wurde auch in Meinungsäußerungen aus dem Publikum deutlich.
Somit stand am Ende doch die Forderung der sprachinteressierten Öffentlichkeit an die Sprachwissenschaftler nach einer nicht nur beschreibenden, sondern auch wertenden, Partei nehmenden Position im Raum. Denn wer anders solle diese sprachpolitische Aufgabe leisten?
Die Vorträge der Tagung erscheinen im Jahrbuch 2000 des Instituts für Deutsche Sprache. Die 37. Jahrestagung findet vom 13. bis 15. März 2001 zum Thema "Sprache und Recht" statt.
Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim.