Abstracts Deutsche Sprache 2/97

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Christian Bergmann

Über das "Herausbrechen" und "Zersetzen" von Menschen

Semantische Verschiebungen im Sprachgebrauch des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR

Abstract

Das Material zur vorliegenden Untersuchung wurde aus Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR sowie aus ministeriellen Richtlinien und den dazugehörigen Durchführungsbestimmungen gewonnen. Außerdem wurde das Wörterbuch der Staatssicherheit herangezogen. Analysiert wurden insbesondere transitive Verben und der Bedeutungsinhalt der von ihnen regierten Akkusativobjekte. Im Sprachgebrauch des MfS tritt hier häufig die Übertragung einer Personen- in eine Sachbezeichnung ein. Diese semantische Verschiebung wird im folgenden an drei ausgewählten Paradigmen expliziert.

The material for this study comes from the files of the Ministry of State Security of the former GDR and from ministerial guidelines and the accompanying implementation regulations. The Dictionary of State Security was also consulted. The analysis focuses on transitive verbs and the semantic content of the accusative objects they govern. In the language of the Ministry of State Security people are frequently described in terms of objects. This semantic shift is illustrated using three selected paradigms.


Claudia Fraas

"Die Sozialistische Nation - Sie war eine Chimäre"

Interpretationsmuster und Interpretationskonflikte

Abstract

Am Beispiel des Ausdrucks Nation wird gezeigt, wie sich im öffentlichen Diskurs Interpretationsmuster etablieren und wie solche Muster auch wieder in Frage gestellt werden. Es wird dargestellt, auf welchen Traditionen die offiziellen Interpretationsvarianten von Nation in den Medien-Diskursen des geteilten Deutschland beruhen und welche Interpretationskonflikte mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der 90er Jahre einhergehen.

Using the example of the German word 'Nation', this article shows how patterns of interpretation are established in public discourse, and also how these patterns can be questioned. It investigates the traditions on which the official interpretational variants of 'Nation' were based in the devided Germany, and sketches the conflicts of interpretation which have arisen in conjunction with the radical changes that have taken place in society in the 1990s.


Kornelia Pape

Schlag-(Wort-)Abtausch im Landesparlament

Analysen zu Debatten über Bildungspolitik

Abstract

Die Bildungspolitik des Landes Sachsen-Anhalt wurde in den zwei Legislaturperioden seit der deutschen Vereinigung zuerst von der CDU-FDP-Regierung, dann von der Koalition aus SPD und BG (Bündnis 90/Die Grünen) bestimmt. In den Parlamentsdebatten zum Landesschulgesetz stritten die Abgeordneten um das Für und Wider des gegliederten und integrierten Schulsystems und grenzten die jeweiligen Handlungskonzepte durch parteitypische Schlagwörter und Schlagwortfelder prägnant und medienwirksam voneinander ab. Eine intertextuelle Sicht auf die Verwendung der Schlagwörter ermöglicht eine diachronische Beschreibung und zeigt darüber hinaus, wie die Begrifflichkeit aus der DDR-Zeit im Ostparlament neuen Zwecken dienstbar gemacht wird.

In the two parliamentary terms since German unity, the education policies of Saxony-Anhalt have been determined by the CDU-FDP state government hand then by a coalition consisting of SPD and BG (Bündnis 90 and Die Grünen). In the parliamentary debates on the state education act, the members argued about the pros and cons of the structured and integrated school system and differentiated their plans from one another clearly and effectively by means of typical party slogans and related concepts. An intertextual view of the use of the slogans permits a diachronic description and also show how the conceptual framework of the GDR period is used for new purposes in the parliament of this eastern state.


Angela Biege / Ines Bose

Untersuchungen zur Redeweise in Landtagen

Abstract

Dargestellt werden Untersuchungsinteressen und Analyseansätze im Rahmen eines Projektes zur Redekultur in ostdeutschen und westdeutschen Landtagen. Ergebnisse aus Interviews mit Abgeordneten und Hörerbeurteilungen werden zum Anlass für eine exemplarische Analyse von Ausschnitten aus Reden, in denen Abgeordnete persönlich angegriffen werden. Im Vordergrund stehen dabei die verwendeten typischen Sprechausdrucksmerkmale.

This article describes research interests and analytical approaches in the framework of a project in West and East German state parliaments. Findings from interviews with members of the parliaments and reactions on the part of listeners give rise to an exemplary analysis of sections of speeches which contain personal attacks on members. The analysis focuses on the typical features of expressions used in these attacks.


Heiko Hausendorf

gerade hier im osten die frauen

Soziale Kategorisierung, Macht und Moral

Abstract

Zuordnungen von Personen zu sozialen Gruppen, Zuschreibungen und Bewertungen gruppenspezifischer Eigenschaften und Verhaltensweisen haben neben einer psychisch-kognitiven auch eine kommunikative Bedeutung. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit diesen kommunikativen und sprachlichen Aspekten sozialer Kategorisierungen am Beispiel der Ostwestunterscheidung im vereinigten Deutschland. Dazu wird ein Modell für soziale Kategorisierungen in Gesprächen dargestellt und an einem Fallbeispiel illustriert, das den Zusammenhang von Kategorisierung, Macht und Moral exemplarisch vor Augen führt.

Assigning people to social groups and attributing and evaluating group specific qualities and behavioural patterns has not only a psychological-cognitive meaning, it also has a communicative meaning. This article examines the communicative and linguistic aspects of social categorisations which take place in conversations, drawing on an example case to illuminate the connection between categorisation, power and morality.


Peter Auer / Karin Birkner / Friederike Kern

Spiegel der Wende in der biographischen Selbstdarstellung von ostdeutschen Bewerberinnen und Bewerbern in Bewerbungsgesprächen

Abstract

Der tiefe Einschnitt, den die politischen Ereignise von 1989 und 1990 bewirkt haben, spiegelt sich in vielerlei Hinsicht in den Biographien der Menschen vor allem aus den neuen Bundesländern wider, bei denen die "Wende" und der nachfolgende Umbruch gravierende Veränderungen in allen Lebensbereichen ausgelöst haben. Von vielen wurde eine völlige berufliche Neuorientierung verlangt; allein die zahlreichen Umschulungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern zeugen von einem umfassenden Wandel auf dem Arbeitsmarkt. In unserem Beitrag untersuchen wir, auf welche Weise Bewerber und Bewerberinnen aus der ehemaligen DDR dit mit der Wende verbundenen biographischen Veränderungen in authentischen sowie rollengespielten Einstellungsgesprächen darstellen.

The deep caesura caused by the political events of 1989 and 1990 is reflected in a variety of ways in the biographies of people especially from the new eastern states, for whom the 'Wende' and the following radical changes have meant a complete transformation in all areas/aspects of their lives. Many of them have had a look for completely different kinds of work: the large number of retraining programmes are a clear indicator of the extent of the changes in the labour market. In this article we look at how job applicants from the former GDR describe the biographical changes caused by the 'Wende' in authentic and enacted job interviews.


Gerd Antos

Sprachregelung

Zur Einführung der Verwaltungssprache in den neuen Ländern am Beispiel von 'Förderprogrammen Ost'

Abstract

Der Beitrag behandelt die Reaktionsweisen der Verwaltung auf die Einführung der westdeutschen Verwaltungssprache in den neuen Ländern. Im Mittelpunkt stehen dabei Konsequenzen, die sich aus den mit der Durchsetzung der Verwaltungssprache verbundenen "Sprachregelungen" für die Verwaltung selbst ergeben. Gegenstand der Untersuchung sind das Interview eines Bürgermeisters und insgesamt elf verwaltungsinterne Beratungsgespräche zum Problem "Schwerverständlichkeit von 'Förderprogrammen Ost'". Dabei wird gezeigt, wie der ambivalente Charakter von rechtlichen Sprachregelungen ("Rechtssicherheit" versus "Unverständlichkeit") von den neuen Verwaltungen instrumentalisiert wird.

This article examines the reactions of the administration to the introduction of the West German administrative language in the new eastern states. It focuses on the consequences which arise for the administration itself from the "prescribed linguistic usuage" connected with the imposition of the administrative language. The material for the study consists of an interview with a mayor and eleven internal training sessions on the topic "Incomprehensibility of the Aid Programme for the East". The study shows how the ambivalent character of legally prescribed linguistic usuage ("legal protection" versus "incomprehensibility") has been instrumentalised by the new administrations.


Hajo Diemannshenke

Sprachliche Ostidentität?

Ostprofilierung bei Parteien in den neuen Bundesländern

Abstract

Die vorliegende Untersuchung prüft die Frage ob und wie weit von einer sprachlichen Ostprofilierung besonders bei der CDU gesprochen werden kann. Ausgehend von den relevanten öffentlichkeitswirksamen Publikationen dazu, wobei das sogenannte 'Rehberg-Papier' der CDU Mecklenburg-Vorpommern im Vordergrund steht, zeigt sich allerdings, daß eine Ost-Identität nicht auf der sprachlichen, sondern allein auf der thematischen Ebene zu beobachten ist. Dies belegt auch die Auswertung eines dazu erstellten Fragebogens.

This study tests the question of whether and to what extent the political parties, expecially the CDU, have been attempting to raise their linguistic profile in the eastern states. However, a study of the relevant publicity material, in particular the so-called 'Rehberg Paper' of the CDU in Meckenburg-Western Pommerania, reveals that there is no eastern identity on a linguistic level, only on a thematic level. This finding ist supported by the results of a questionnaire on the topic.


Ruth Reiher

Annäherung und Kontroversen - Sprachentwicklungen in Berlin

Abstract

Die Art und Weise der deutschen Vereinigung ist mit einer Angleichung des Sprachgebrauchs verbunden, die sich nahezu ausschließlich von West nach Ost vollzieht. Auch Berlin, wo östlich und westlich sozialisierte Sprecher unmittelbar aufeinandertreffen, bildet hier keine Ausnahme. Daß die sprachliche Entwicklung in Berlin auf der einen Seite konfliktärer, auf der anderen Seite schneller verläuft als in den anderen neuen Bundesländern, wird an drei ausgewählten Aspekten erörtert: an der Straßennamengebung, an der Annäherung des Sprachgebrauchs in der alltagssprachlichen Kommunikation am Beispiel der Desynonymisierung.

In accordance with the manner in which German unification occured, the levelling of linguistic usuage is taking place almost entirely in the direction from west to east. This includes Berlin, where speakers used to the eastern and western norms are in close contact with one another. On the one hand the linguistic development in Berlin has been more contentious, but on the other hand it is taking place more rapidly than in the other new states, as is shown in a discussion of three selected aspects: the naming of streets, the debate about colloquial Berlin speech, and the convergence of linguistic usuage in everyday communication, illustrated by means of the example of desynonymisation.


Ulla Fix

Erklären und Rechtfertigen

Die Darstellung der eigenen sprachlich-kommunikativen Vergangenheit in Interviews. Ein Analyseansatz

Abstract

In narrativen und diskursiven Interviews werden Menschen, die die DDR bewußt erleben haben und die jetzt in den neuen Bundeslädnern leben, nach ihren sprachlich-kommunikativen Erfahrungen und Bewertungen damals und heute - im Sinne der Foucaultschen "Ordnung des Diskurses" - befragt. Es zeigt sich (unter anderem), daß die Art, wie die Interviewpartner darüber sprechen, daß ihre Darstellungs- und Deutungsweisen, ihre Argumentationsstrategien etwas über ihr Verhältnis zu Vergangenheit und Gegenwart aussagen. So lassen sich nach Art der Darstellung: sachliches Erklären-Wie oder argumentativ-wertendes Rechtfertigen, auf das in diesem Beitrag etwas genauer eingegangen wird, analytisch zwei große Gruppen grob unterscheiden: die Gruppe derer, die sich als Konformisten verstehen, und die Gruppe derer, die sich zu den Nonkonformisten zählen.

In narrative and discursive interviews people, who consciously experienced the GDR and who now live in the new eastern states were asked to relate their linguistic and communicative experiences and evaluations both then and now, using Foucault's "ordering of discourse" approach. The results show (among other things) that the way in which interview partners talk about their experiences and their descriptions, interpretations and argumentational strategies contain clues to their relationship with both past and present. According to the manner of description: objective Explaining-as and argumentative-evaluative Justifying, which is studied in greater detail in this article, we can draw a rough analytical distinction between tow large groups: those who see themselves as conformists, and those who count themselves among the nonconformists.