Abstracts Deutsche Sprache 4/95
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Rüdiger Harnisch
Zur sprachlichen Situation im Elsaß
Abstract
In Heft 1/1993 dieser Zeitschrift wurde von den Autoren Ott/Philipp in einem Aufsatz zur sprachlichen Lage im Elsaß (Lothringen wird nur gestreift) 1. der Kode-Wechsel zwischen Dialekt und Französisch als reines kommunikatives Positivum in einer funktionsorientierenden Diglossiesituation dargestellt, 2. geschildert, welche Anstrengungen zur Verbesserung des Deutschunterrichts an elsässischen Schulen unternommen würden, 3. Die Rolle von sprachgebrauchsdeterminierenden außersprachlichen Faktoren bezweifelt, die in der soziolinguistischen Literatur zur Beschreibung und Erklärung der sprachlichen Lage im Elsaß herangezogen wurden. - Im vorliegenden Aufsatz soll in bezug auf die genannten Punkte dagegen 1. die Sicht relativiert werden, die Diglosie im Elsaß sei stabil; hierzu werden Ergebnisse eigener und anderer Erhebungen zum heute (noch) vorhandenen Potential des Elsässischen mitgeteilt, 2. soll darauf hingewiesen werden, daß ein Unterricht des Deutschen als Fremd(!)sprache, wie ihn die Autoren im Sinne haben, der Situation im Elsaß nicht gerecht wird und für die sprachliche Lage im Elsaß der Umstand mitverantwortlich ist, daß dem Deutschen (bzw. einer Varietät dieser Sprache) dachsprachliche Funktionen nicht zugestanden werden. Schließlich sollen 3. typische elsässische, das Sprachverhalten stark beeinflussende Bewußtseinsfaktoren, von denen sich z.T. auch Ott/Philipp nicht freimachen können, herausgearbeitet werden.
In part 1/1993 of this journal, the authors Ott/Philipp published an article on the linguistic situation in Alsace (Lorraine was only touched on), in which 1. code-switching between dialect and French is portrayed as a purely communicative positive factor in a functioning diglossic situation, 2. the efforts to improve the teaching of German in Alsation schools are described, and 3. the role of nonlinguistic factors in determining the use of language, which have been used in sociolinguistic studies to explain the linguistic situation in Alsace, is discounted. - In the present article, with reference to the above points 1. the view is challenged that diglossia is stable in Alsace; this is shown using the results of investigations by the author and others into the potential of Alsatian at the present time. 2. It is shown that the teaching of German as a foreign (!) language, as proposed by the authors, is not appropriate to the situation in Alsace and is partly responsible for the fact that German (or a variety of this language) is not seen as having umbrella functions. 3. Finally the article notes some typical aspects of Alsatian consciousness which have a strong influence on linguistic behaviour and which even Ott/Philipp have not always been able to free themselves of.
Elke Donalies
"... durchbebt und wie im Rausche emporgehoben von einem Glück, dem keins in der Welt an schmerzlicher Süßigkeit zu vergleichen"
Gibt es eine trivialromanspezifische Sprache?
Abstract
Besonders seit den 60er Jahren dieses Jahrhunderts versuchen Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen immer wieder, die intuitiv relativ sicher als trivial bestimmbare Romanliteratur anhand objektiver Kriterien zu definieren. Dabei wird häufig auch auf eine trivialromanspezifische Sprache hingewiesen. Der vorliegende Beitrag diskutiert diesen sprachbezogenen Definitionsansatz ausführlich und kommt zu dem Ergebnis, daß es - entgegen der allgemeinen Meinung - keine sprachlichen Merkmale gibt, die den Trivialroman in charakteristischer Weise vom nichttrivialen Roman unterscheiden.
Since the 1960s, scholars of various disciplines have been trying to find objective criteria of define the genre of the trivial novel, which intuitively seems relatively simple to identify. One criterion which is frequently mentioned is a type of language specific to the trivial novel. In this article the author examines this language-based definition in detail and comes to the conclusion that - contrary to the commonly held view - there are no linguistic features which clearly distinguish the trivial novel from non-trivial novels.
Anne Lehrndorfer
Kontrolliertes Deutsch
Nutzen und Anwendbarkeit einer kontrollierten Sprache in der Technischen Dokumentation
Abstract
Textverständlichkeit gilt trotz umfangreicher Theoriebildung noch immer als eines der Hauptprobleme der Textproduktion. Aus wirtschaftlichen und haftungsrechtlichen Gründen wird in Teilbereichen der Technischen Dokumentation im angloamerikanischen Sprachraum daher seit etwa 20 Jahren durch in Syntax und Wortwahl kontrollierte Sprache Textverständlichkeit auf niedrigem sprachlichen Niveau forciert (Simplicfied English). In jüngster Zeit wächst der Bedarf, dieses Konzept der Sprachkontrolle auch ins Deutsche zu übertragen. Unter linguistischen Aspekten ist die Restriktion der natürlichsprachlichen Syntax und des Allgemeinwortschatzes auf ausgewählte Satzstrukturen und einen Gundwortschatz aus vielen Gründen problematisch. Auch die Psycholinguistik stellt zunächst die Lernbarkeit einer reduzierten Sprache in Frage. Erste Umfragen und Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, daß Technische Redakteure weniger die sprachliche Restrikton als den dadurch verursachten Zwang der straffen inhaltlichen Strukturierung als Kontrolle empfinden. Das Konzept der kontrollierten Sprache erweist sich als neuer Ansatz für Diskussionen über den Zusammenhang von Inhaltsstruktur, sprachlicher Oberfläche und aufgaben- bzw. situationsbezogener Verständlichkeit und ist zudem sehr anwendungsorientiert.
In spite of much theoretical discussion, intelligibility is still regarded as one of the main problems of text production. In English-speaking countries, economic and legal considerations have, in some areas of technical documentation, led to a controlled language in which syntax and vocabulary are restricted to a low linguistic level (Simplified English). Recently there has been a growing need to adopt this type of controlled language in German, too. From a linguistic point of view there are many problems in restricting the natural syntax and general vocabulary of a language to selected syntactic structures and a basic vocabulary. Psycholinguistics, too, raises questions about the learnability of a reduced language. However, first surveys and results indicate that technical editors experience control not so much in the restriction of linguistic means as in the necessity to subject the content to a rigid structuring. The concept of controlled language is shown to be a new approach for discussions on the connections between semantic structure, linguistic surface structure and situational intelligibility, in addition to which it also has practical applications.
Ichiro Marui
Argumentieren, Gesprächsorganisation und Interaktionsprinzipien
Japanisch und Deutsch im Kontrast
Abstract
Diese Arbeit versteht sich als ein Beitrag zu einer kontrastiven Erforschung der argumentativen Elemente oder allgemeiner der Argumentativität in japanischen und deutschen Gesprächen. Dabei befinden sich die Sammlung und Analyse der Materialien noch im Bearbeitungsstadium. Konkret geht es im folgenden um eine Darstellung der Problemfelder, die mit der Thematisierung von kulturunterschiedlicher Argumentativität im Gespräch zusammenhängen.
Im ersten Teile stelle ich typische Formen von argumentationsbezogenen Erscheinungen vor. Das erste Kriterium ist (Nicht-)Vorhandensein eines Dissenses der Beteiligten. Der zweite Teil behandelt Argumentativität in Zusammenhang mit dem Begriff der Kompetivität. Im dritten Teil befasse ich mich mit argumentativen Elementen und deren Funktionen in der Gesprächsorganisation. Im vierten Teil werden japanische Exemplare analysiert, um heuristisch einen möglichst großen Kontrast zum Deutschen zu gewinnen. Zum Schluß fasse ich die Ergebnisse und Desiderate zusammen und diskutiere die Möglichkeiten von weiteren Forschungsarbeiten.
This article is a contribution to the contrastive study of argumentative elements, or more generally of the argumentativity of Japanese and German conversations. The study has not yet been completed and the collection and analysis of material are still continuing. The article presents a description of the problem areas connected with culturally conditioned differences in argumentativity in conversations.
In the first part I present typical forms of argumentation-related phenomena. The first criterion is the presence (or absence) of disagreement between the participiants. The second part treats argumentativity in conjunction with the concept of competitiveness. In the third part I look at argumentative elements and their functions in the organisation of conversations. In the fourth part, Japanese exemples are analysed in order to maximise the contrast with German for heuristic purposes. Finally, I summarise the results and those points which still need clarifying, and discuss the outlook for future research.
Dagmar Schmauks
Metasprachliche Ausdrücke und Argumentationen in der Literatur
Abstract
Linguistik und Literaturwissenschaft sind eng miteinander verflochten: linguistische Analysen erhellen, mit welchen sprachlichen Mitteln der Autor bestimmte Wirkung erzielt, und umgekehrt belegen literarische Werke oft, daß ihre Autoren diese Mittel bewußt verwenden, lange bevor die Linguistik sie als Untersuchungsgegenstand entdeckt. Diese Arbeit untersucht metasprachliche Ausdrücke und Argumentationen in der erzählenden Literatur, wobei die beiden Beispiele aus Theodor Fonanes Romanen stammen. Das erste Beispiel ist die unauflösbar mehrdeutige Aussage einer Romanfigur; je nach Vorwissen des Rezipienten wird dieser die auftretenden Namen als normal verwendete oder erwähnte interpretieren. Im zweiten Beispiel referiert eine Romanfigur auf eine andere mit einem Personalpronomen, und Fontane begründet auf einer zusätzlichen metasprachlichen Ebene, warum diese Referenz erfolgreich ist.
Linguistics and literary studies are closely interwoven: linguistic analyses elucidate the linguistic means by which an author attains a specific effect, and literary works often prove their authors' intentional use of these means long before they are discovered as a topic by linguistics. This article investigates metalinguistic expressions and forms of argumentations in narratives using two examples taken from Theodor Fontane's novels. The first is the unresolvably ambiguous statement of a character in a novel: depending on their prior knowledge, recipients will interpret the names which occur as being used or as being mentioned. In the second example, a character uses a pronoun in order to refer to another character, and Fontane justifies on an additioal metalinguistic level why this reference is successful.
Roberto Gusmani
Zur deutschen Übersetzung des Cours de Linguistique générale
Abstract
Die deutsche Übersetzung des Hauptwerkes von F. de Saussure enthält einen gravierenden Fehler, nämlich die Wiedergabe von frz. signifié durch 'das Bezeichnete', die den Eindruck erwecken kann, als wäre durch jenen Terminus die bezeichnete Sache und nicht die inhaltliche Seite des Zeichens gemeint.
The German translation of F. de Saussure's principal work contains a serious error, namely the rendering of Frence signifié by the German word 'das Bezeichnete', which creates the impression that the term denotes the object referred to and not the content side of the sign.