Abstracts Deutsche Sprache 3/95

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Susanne Günthner

Gattungen in der sozialen Praxis

Die Analyse "kommunikativer Gattungen" als Textsorten mündlicher Kommunikation

Abstract

Analysen von Alltagskommunikation und Untersuchungen zur Verwendung sprachlicher Strukturen in Gesprächen zeigen, daß mündliche Kommunikation keineswegs unstrukturiert und "formlos" ist. In allen Sprech- und Kulturgemeinschaften gibt es bestimmte verfestigte kommunikative Formen, an denen sich Interagierende zur Kommunikation und Interpretation sozialer Bedeutung orientieren. Solche verfestigten Muster, die kommunikative Vorgänge vorzeichnen, indem sie Bestandteile dieser Vorgänge mehr oder minder detailliert und verpflichtend festlegen, werden in der anthropologischen Linguistik und der Wissens- und Sprachsoziologie als "kommunikative Gattungen" (Luckmann 1986) bezeichnet.

In diesem Beitrag wird das Konzept der kommunikativen Gattungen vorgestellt, die methodologischen und theoretischen Grundlagen aufgezeigt und seine vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten für linguistische Analysen mündlicher Kommunikation verdeutlicht. Ferner wird argumentiert, daß gerade aufgrund ihrer wissenssoziologischen und anthropologischen Fundierung die Gattungsanalyse als geeigneter Ansatz erscheint, sprachwissenschaftliche Analysen grammatischer, prosodischer, rhetorischer und interaktiver Phänomene mit sozialen und kulturellen Strukturen und sozialwissenschaftlichen Theorien kommunikativen Handelns zu verbinden.

Analyses of everyday communication and studies of the use of linguistic structures in conversations show that oral communication is by no means unstructured and 'amorphous'. In all speech and cultural communities there exist certain established forms of communication which serve as an orientation for participants in communication and in the interpretation of social meaning. In anthropological linguistics and in the sociology of knowledge and language these established patterns, which map out communicative processes by laying down more or less detailed rules for their components, are referred to as 'communicative genres' (Luckmann 1986).

This article introduces the concept of communicative genres, examines their methodological and theoretical bases and clarifies the many ways they can be used in linguistic analyses of oral communication. The author argues further that because it is based in the sociology of knowledge and in anthropology, the analysis of genres is an approach which links linguistic analyses of grammatical, prosodic, rhetorical and interactive phenomena with social and cultural structures and theories of communicative action from the social sciences.


Michael Schloßmacher

Zum Gebrauch von Deutsch in den Organen der Europäischen Union

Abstract

In den Organen der Europäischen Union besteht eine pluralistische Sprachenregelung mit neun, seit dem Beitritt Schwedens und Finnlands nach Abschluß dieser Untersuchung elf, gleichberechtigten Amts- und Arbeitssprachen. Anhand der Daten aus umfangreichen Erhebungen wird nachgewiesen, daß Englisch und Französisch mit weitem Abstand vor Deutsch und allen weiteren Sprachen faktische Arbeitssprachen im täglichen Gebrauch der Beamten der Europäischen Union und der Abgeordneten des Europäischen Parlaments sind. Darüber hinaus wird diskutiert, ob Deutsch im Rahmen eienr Erweiterung der Europäischen Union an Einfluß gewinnen könnte.

There is a pluralistic language policy in the organs of the European Union with nine official and working languages, a number which was increased to eleven with the accession of Sweden and Finland after the completion of this study. Data from a number of surveys shows that Englisch and French are a long way ahead of German and all other languages and are the real working languages used by the officials of the European Union and the members of the European Parliament. The author also discusses whether the position of German would be strengthened in an enlarged European Union.


Andreas Dresch

Adventure Look und Sport-Appeal

Das Phänomen "modischer" Anglizismen in Men-Lifestyle-Zeitschriften

Abstract

Fremdwörter im Deutschen, insbesondere Anglizismen, gelten der Sprachforschung vielfach noch heute als entbehrlich, ja kommunikationserschwerend. In der Tat gibt es deren viele. Doch spiegeln Entlehnungen, so kurzlebig sie zuweilen auch sein mögen, den Geist unserer Zeit wider. Die Orientierung am "American Way of Life" sorgte in den letzten 50 Jahren beständig für neue sprachliche Akzente im Deutschen, die von der Wissenschaft nicht einfach ignoriert werden dürfen. Stärker als bisher sollte sie es sich zu eigen machen, die fremdsprachigen Einflüsse auf das Deutsche zu dokumentieren und zu analysieren.

Freilich kann nie mit Bestimmtheit gesagt werden, welche der Entlehnungen sich dauerhaft im Deutschen etablieren. Gerade dies macht jedoch die Auseinandersetzung mit (neu)modischen Sprachphänomenen zu einem interessanten Untersuchungsgegenstand.

Selbst ephemer erscheinende Anglizismen bereichern, bei aller Kritik, die in diesem Beitrag anklingen mag, beständig die deutsche Sprache. Anhand vielfältiger Belegbeispiele aus deutschen Lifestyle-Zeitschriften seien daher Tendenzen und moderne Sprachströmungen aufgezeigt, die zu einer aufmerksamen Betrachtung der ungebremst starken englischsprachigen Einflüsse auf das Deutsche - und einer wieder vermehrten Forschungsdiskussion hierüber - einladen sollen.

In the view of many linguists, loan words in German, especially Anglicisms, are unnecessary and even an obstacle to communication. It is clear that they are very numerous. But borrowings, however short-lived they are, reflect the spirit of our time. The influence of the "American way of life" over the last 50 years has led to innovations in the German language which cannot simply be ignored by linguists. There is a need for an increase in the documentation and analysis of foreign influence on German.

Of course, it is never possible to say with certainty which loan words will become established in German. But this very fact makes the study of fashionable new linguistic phenomena such an interesting field. Even ephemeral Anglicisms constantly enrich the German language, in spite of the critical comments made in this article. The author uses numerous examples from German lifestyle magazines to illustrate current trends and tendencies with the intention of encouraging a close observation of the strong and continuing influence of the English language on German and of promoting an increase in scholary debate on this subject.


Fernande Krier

Zur Steuerung von Kommunikationsvorgängen in einem Idiolekt

Abstract

Ziel dieses Aufsatzes ist es, die thematische Strukturierung der spontanen Rede in einem Idiolekt aufzuzeigen. Zunächst werden Sprechpausen erörtert und im Zusammenwirken mit der Intonation und dem Akzent ihrer Funktionen herausgestellt, nämlich Grenzsignale, Zögerungsphänomene und rhetorische Strategien. Sodann erfolgt eine Analyse der Deiktika, die eine referentielle Bedeutung und, in geringerem Maße, eine demarkative Funktion haben; letztere wird prinzipiell von den transphrastischen Konnektoren ausgeübt. Schließlich werden die prosodischen und syntaktischen Elemente, die zur Aufmerksamkeitssteuerung und Emphatisierung dienen, beschrieben.

The aim of this paper is to outline the thematic structure of spontaneous speech in an idiolect. First, pauses are discussed and analysed in their interaction with intonation and stress. The functions of pauses are shown to be border signals, hesitation phenomena and rhetoric strategies. This is followed by an analysis of deictic signs, which have referential and, to a lesser extent, border signal functions, the latter generally being carried out by transphrastic connectors. The final sections is devoted to a description of the prosodic and syntactic elements which guide the interlocutor's attention and emphasise certain features of the discourse.