Abstracts Deutsche Sprache 2/95
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Jörg Meibauer
Wortbildung und Kognition
Überlegungen zum deutschen -er-Suffix
Abstract
Drei Ansätze zur semantischen Funktion des -er-Suffixes werden unterschieden: der thematische Rollen-Ansatz, der Argumentvererbungs-Ansatz und der konzeptuelle Ansatz. Die beiden ersten Ansätze werden als zu wenig allgemeingültig zurückgewiesen. Der konzeptuelle Ansatz besagt, daß das -er-Suffix die konzeptuelle Struktur seiner Basis modifiziert und dem Derivat ein verändertes Konzept zuweist. Es wird erörtert, ob dies in einer kompositionalen oder holistischen Weise geschieht, welche und wieviele Konzepte man benötigt, welche Beziehungen zwischen den Konzepten bestehen, und ob Nomina agentis gegenüber Nomina instrumenti primär sind.
Three approaches to the semantic function of the German -er-suffix are sketched: the thematic role approach, the argument inheritance approach and the conceptual approach. Only the latter seems to be general enough to account for the facts. The conceptual approach states that the -er-suffix modifies the conceptual structure of its base, thus assigning an altered concept to the derivate. The author discusses whether this happens in a compositional or holistic manner, which and how many concepts are necessary, which semantic relations hold between these concepts, and whether agent nouns are primary compared with instrument nouns.
Werner Abraham
Wieso stehen nicht alle Modalpartikel in allen Satzformen?
Die Nullhypothese
Abstract
Der folgende Artikel zeigt im Detail, daß die spezifischen illokutiven Modalpartikel-Funktionen sich aus den lexikalischen Bedeutungen der Modalpartikel-Homonyme, d.h. aus den allokategorematischen Verwendungen der Modalpartikel-Lexeme ergeben. Insbesonders wird ausgeführt, daß die Modalpartikeln sich aufgrund ihres eingeschränkten Stellungsverhaltens in Modalpartikel-Kombinationen in drei syntaktische Stellungsklassen einteilen lassen: C1, C2 und C3. Diese syntaktischen Klassen sind durch rein syntaktisch und vom Faktenbereich völlig unabhängig begründete COMP(lementizer) mit ebensolchen Stellungseinschränkungen legitimiert. Solche Zusammenhänge verstärken den Status eines linguistischen Faktums mit erklärendem Wert. Die Klassenzugehörigkeit zu C1, C2 und C3 ist ausschließlich von den syntaktischen Eigenschaften der lexikalischen Modalpartikel-Homonyme abhängig. Es wird gezeigt, daß sich das syntaktische Forschungsparadigma auch im diachronen Bereich der Grammatikalisierung bewährt.
This article shows in detail that the specific illocutive functions of modal particles are derived from the lexical meanings of their homonyms (from the allocategorematic use of the modal particle lexemes). It is shown that they can be divided into three syntactic positional classes, C1, C2 and C3, on the basis of their restricted positional behaviour in combinations of modal particles. These syntactic classes are legitimized by COMP(lementizers) based on purely syntactic criteria and completely independent from the topic in question and yet showing the same positional restrictions. Crosscategorical connections of this type strenghten the status of a linguistic fact with explanatory force. Whether elements belong to C1, C2and C3 is determined solely on the basis of the syntactic properties of the modal particle homonyms. Finally it is shown that this syntactic approach is also applicable in the diachronic field of grammaticalization.
Michael Back
Ich weiß nicht, was soll 'ES' bedeuten
Zur Frage subjektloser Sätze im Deutschen und anderswo
Abstract
Eine wesentliche Aufgabe der Syntax besteht darin, den nicht-linear strukturierten Inhalt eines Satzes in eine lineare Ordnung zu bringen, die sowohl die Kodierung wie die Entkodierung erst möglich macht. Der erste und unverzichtbare Schritt hierbei ist die propositionale Gliederung in THEMA/ONOMA und RHEMA; eine Ausnahme ist auf dieser logischen (LOGOS=Satz) Strukturebene nicht möglich. In sogen. Subjektsprachen findet sich diese binäre Satzstruktur als SUBJEKT und PRÄDIKAT prototypisch (d.h., Ausnahmen müssen historisch-analogisch motiviert werden können) grammatikalisiert. Damit ein Teil des zu kommunizierenden Inhalts als ONOMA/THEMA ausgewählt werden kann, muß es die Bedingung der Identifizierbarkeit erfüllen; sprachlich geschieht das mit Hilfe deiktischer Mittel (DEIXIS).
Ziel der vorliegenden Studie war es, zu zeigen, daß auch in vermeintlich subjektlosen Aussagesätzen (insbesondere in deutschen ES-Sätzen) mit vermeintlich 'avalenten' Verben im kommunikativen Bereich eine bestimmte Deixis zu einem a priori notwendigen ONOMA/THEMA tatsächlich vorhanden ist, und daß ES-(IL-/IT- etc.)-Sätze dementsprechend mit einem identifizierbaren ONOMA=SUBJEKT grammatikalisiert sind.
Wenn es auch keine ONOMA-losen Satzinhalte gibt, so gibt es doch im Deutschen einige wenige Satzkonstruktionen, in denen das ONOMA kommunikativ so s e l b s t e v i d e n t ist, daß seine Nichtversprachlichung grammatikalisch erlaubt wird (diese Möglichkeit nimmt typischerweise proportional zum umgangssprachlichen Redestil zu). Die linguistische Annahme sog. 'dummy subjects' (in der generativen Grammatik) oder von 'avalenten Verben' (in der Dependenzgrammatik) ist theoretisch, d.h. innerhalb einer jeden Sprachtheorie, unannehmbar.
In order to be able to produce the first step in the syntax of the non-linear semantic content for a declarative sentence in any given language, it is necessary to introduce the propositional classification of the content into THEMA/ONOMA and RHEMA. In so called subject languages, this binary differentiation is prototypically grammaticalized as SUBJECT and PREDICATE. The logical primary prerequisite for an ONOMA is its identifiability; this is achieved linguistically with the help of deictic means (DEIXIS).
The goal of the present study was to demonstrate in purportedly subjectless declarative sentences (especially German ES-sentences), with purportedly 'avalent' verbs, that a communicatively existing DEIXIS to the a priory necessary ONOMA actually appears and that ES-(IL-/IT- etc.) sentences, which are usually regarded as subjectless, do in fact possess an actual SUBJECT=ONOMA.
Genuine subjectless sentences are limited to a small number of communicatively marked forms of expressions in which the underlying ONOMA is so s e l f - e v i d e n t that its redundand verbalization is no longer required. The assumption of so called 'dummy subjects' or of 'avalent verbs' (in dependence grammar) is theoretically (i.e. in every linguistic theory) unacceptable.